Geothermie - ein Gemeinschaftsprojekt

Geothermie - ein Gemeinschaftsprojekt

29. September 2016 - von Michèle Marti und Stefan Wiemer

Die Wärme im Erdinneren umweltfreundlich, wirtschaftlich erfolgreich und nachhaltig nutzen? Das wünscht sich nicht nur die Schweiz im Zuge der Energiestrategie 2050 – auch in Europa soll die Geothermie eine tragende Rolle im künftigen Energiemix spielen. Das internationale Projekt DESTRESS will Methoden und Machbarkeit prüfen.

Weltweit erforschen und entwickeln zahlreiche Universitäten und Firmen tiefe Geothermieprojekte zur Strom- und Wärmegewinnung. Trotz einiger Erfolgsgeschichten in geologisch besonders vorteilhaften Bedingungen, etwa im Raum München oder in vulkanischen Gebieten, zeigt sich, dass es nicht leicht ist, tiefe Geothermieanlagen erfolgreich zu realisieren. Das Feld möglicher Stolpersteine erstreckt sich von Misserfolgen in der Explorationsphase über Reservoirs mit ungenügender Durchlässigkeit und Produktivität bis hin zu ausgelösten Erdbeben und oft damit verbundenem Widerstand in der Bevölkerung.

Das SCCER-SoE forscht intensiv an diesen Themen, zum Beispiel im Felslabor Grimsel (ISC-Experiment „In-situ Stimulation and Circulation“). Pilot- und Demonstrationsprojekte bleiben denn auch das wichtigste Element, um die Technologie zu testen, zu verbessern und gesellschaftliche Akzeptanz zu fördern. Allerdings dauert es typischerweise fünf bis zehn Jahre, bis ein tiefes Geothermieprojekt realisiert werden kann. In der Schweiz gibt es derzeit nur wenige Projekte in fortgeschrittenem Stadium.

An dieser Stelle kann die internationale und speziell die europäische Zusammenarbeit einen wichtigen Beitrag leisten. Die USA (FORGE) und insbesondere die EU sehen die tiefe Geothermie als eine der Schlüsseltechnologien der künftigen Energielandschaft und unterstützen sie mittels zahlreicher Projekte. Ein Beispiel dafür ist das im Rahmen des EU-Programms Horizon 2020 geförderte Projekt DESTRESS, an dem sich sechs europäische Länder und Südkorea beteiligen. DESTRESS zielt darauf ab, für verschiedene Demonstrationsstandorte Massnahmen und Methoden zu entwickeln und zu testen, die auf den lokalen geologischen Untergrund abgestimmt sind und umweltfreundliche, wirtschaftlich erfolgreiche sowie nachhaltige Geothermieprojekte ermöglichen.

DESTRESS

DESTRESS Geothermieanlagen

Erfolgsfaktoren

DESTRESS fokussiert auf "Enhanced Geothermal Systems" (EGS), also petrothermale Systeme, die sich aufgrund hydraulischer Stimulation im tiefen Untergrund herausbilden: Durch Einpumpen von Flüssigkeiten unter hohem Druck wird ein künstliches Reservoir erzeugt, in dem Flüssigkeit zirkuliert und sich erwärmt. EGS haben im Vergleich zu hydrothermalen Systemen den Vorteil, dass sie nicht auf bestehende wasserführende Schichten angewiesen und damit im Prinzip standortunabhängig sind. Der Erfolg solcher Projekte hängt von drei wesentlichen Faktoren ab: Geologie, Wirtschaftlichkeit und Gesellschaft.

Knacknuss Geologie

Bei der Geologie und der Wirtschaftlichkeit erweisen sich vor allem die Durchlässigkeit und die Produktivität des Reservoirs sowie die induzierte Seismizität als zentral. Viele Geothermieprojekte scheiterten in der Vergangenheit, weil sie zu geringe Flüssigkeitsmengen förderten und daher wirtschaftlich nicht rentabel waren. DESTRESS testet deshalb an verschiedenen Standorten, wie sich hydraulische, thermische und chemische Verfahren in Kombination auf die Produktivität einer Anlage auswirken. Zudem gelangen neue Bohrtechnologien zum Einsatz: Bei sogenannten «multistage Stimulationsverfahren» werden ausgehend von einem Bohrloch verschiedene horizontale Seitenarme erstellt, um die Effizienz des Systems zu steigern. Kleine Erdbeben sind dabei notwendig, um die Gesteinsdurchlässigkeit im gewünschten Umfang zu erhöhen. Die Kunst besteht darin, ausreichend kleine Erschütterungen zu erzeugen, ohne Erdbeben mit Schadenspotenzial auszulösen. Dazu setzt DESTRESS unter anderem sogenannte adaptive Ampelsysteme ein, an denen in der Schweiz seit einigen Jahren intensiv geforscht wird. Diese basieren auf einer engmaschigen seismischen Überwachung, die mit statistischen und physikalischen Vorhersagemodellen kombiniert wird. Gekoppelt an Massnahmen, die bei Überschreitung von Grenzwerten greifen, zielen Ampelsysteme darauf ab, das seismische Risiko auf ein akzeptables Niveau zu reduzieren.

Lehrgeld sparen

Geothermieprojekte sind mit verhältnismässig grossen Investitionskosten verbunden. Gewinnbringende Projekte setzen neben einer ausreichenden Produktivität breit akzeptierte Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt voraus. Um gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen und regulatorische Bestimmungen einzuhalten, sind eine umfassende Analyse und transparente Auslegung der potentiell mit Geothermieprojekten verbundenen Risiken unabdinglich. DESTRESS entwickelt und prüft an Demonstrationsstandorten mit unterschiedlichen geologischen Voraussetzungen innovative Ansätze und Methoden. Ein wichtiges Element besteht darin, die gewonnenen Erkenntnisse in Form von „best practices“ einem breiten Publikum zugänglich zu machen, damit alle, die ein umweltfreundliches, wirtschaftlich erfolgreiches und nachhaltiges Geothermieprojekt planen oder betreiben, möglichst wenig Lehrgeld bezahlen müssen – sowohl in Europa als auch andernorts.

Diesen Beitrag finden Sie auch im Zukunftsblog der ETH Zürich.

Autoren

Autoren

Michèle Marti und Prof. Dr. Stefan Wiemer vom Schweizerischen Erdbebendienst an der ETH Zürich leiten gemeinsam das DESTRESS Work Package zum Thema Kommunikation. Durch die Professuren von D. Giardini, T. Driesner, M. O. Saar und S. Wiemer ist die ETH Zürich auch in allen anderen DESTRESS Arbeitspaketen involviert.