Wasserkraft in der Schweiz – den Anforderungen der Zukunft gewachsen?

Wasserkraft in der Schweiz – den Anforderungen der Zukunft gewachsen?

12. Juli 2016 – von François Avellan

Der Einbruch des Stromgrosshandelsmarktes im Jahr 2015 setzt unsere Wasserkraftwerke wirtschaftlich gewaltig unter Druck. Gleichzeitig war es noch nie zuvor so dringend erforderlich, die Nutzung unserer wichtigsten Quelle für Primärenergie aufzuwerten und weiterzuentwickeln.

Um die Nichterneuerung der Schweizer Atomkraftwerke auszugleichen, setzt die Energiestrategie des Bundes insbesondere auf eine Erhöhung der Stromproduktion aus Wasserkraft um mindestens 10 % bis 2050. 2014 lag ihr Anteil bei 39,3 TWh. Doch die Strategie ist durch die derzeitigen Marktbedingungen gefährdet. Diese setzt die Bilanzen unserer Stromerzeuger unter Druck und drängt sie, ihre Vermögenswerte beziehungsweise ihre Kraftwerke zu verkaufen, um ihre Verschuldung abzubauen. Hinzu kommt die Ungewissheit im Hinblick auf das bevorstehende Auslaufen ihrer Betriebskonzessionen und die Bedingungen für deren Erneuerung. Dabei gilt es sich vor Augen zu halten, dass die Wasserzinse, welche die Betreiber den Kantonen vergüten, zurzeit bis zu einen Drittel der Kosten pro erzeugte kWh ausmachen können. Man muss also nicht nur die Erzeugung um 10 % erhöhen, sondern auch die vorhandenen Kapazitäten von etwa 15 GW modernisieren. An genau diesem Punkt setzt das SCCER-SoE an.

Mittags scheint die Sonne

Für die Krise im Stromgrosshandelsmarkt gibt es zwei Ursachen:

  • Die erste Ursache liegt im derzeit sehr niedrigen Strompreis von etwa 0.03 € pro kWh. Dieser deckt die Gestehungskosten für Strom aus Wasserkraft nicht, welche mehr als das Doppelte betragen können. Der enorm tiefe Preis hängt mit dem starken Überangebot zusammen, das sich mit der flauen Konjunktur in den vergangenen Jahren und der damit verbundenen schwachen Stromnachfrage in Europa erklären lässt. Zudem gibt es einen Überschuss an Strom aus Kohlekraftwerken, der durch die tiefen Preise der CO2-Emissionszertifikate von etwa 5 € pro Tonne CO2 nicht ausgeglichen wird. Diese Emissionsrechte wurden zu grosszügig zugeteilt, schlicht um das Leiden der europäischen Industrien in diesen wirtschaftlichen Krisenzeiten zu mindern!
  • Die zweite Ursache hängt mit dem subventionierten Kapazitätsausbau für die Stromerzeugung aus Wind und Photovoltaik zusammen, der die Bedingungen für den Tageshandel (intraday trading) verändert hat. Die berüchtigte Mittagsspitze der Nachfrage, die unseren Speicherkraftwerken so sehr zugutekam, wurde durch die Solarstromerzeugung ausgemerzt, denn mittags scheint nun einmal die Sonne.

Die Chance

Der schwankende Charakter der Stromerzeugung aus Wind und Sonne erfordert auf der Netzseite erhöhte Regelungskapazitäten, um die Differenz zwischen Nachfrage und Angebot kurzfristig ausgleichen zu können. Nach einer Modernisierung könnten unsere bestehenden Wasserkraftwerke dies auf effiziente Weise und im Gegensatz zu Gaskraftwerken ohne die Emission von Treibhausgasen erfüllen. Darin liegt zweifellos eine Chance für die Zukunft, wenn sich ein Markt für Regelenergie bildet, was aber technologische Anpassungen der Wasserkraftanlagen und damit zusätzliche Investitionen erfordern würde.

Die Herausforderungen

Nun wird die Tragweite der Herausforderungen deutlich, mit denen die Wasserkraftbranche konfrontiert ist, aber auch die Chance, einen Beitrag zur Entwicklung der anderen erneuerbaren Energien zu leisten. Abgesehen von den zu erwartenden Klimaveränderungen, die sich auf die Verteilung und die Art der Wasserzuflüsse sowie auf die Betriebsbedingungen der Wasserkraftwerke auswirken werden, gilt es, sich im Hinblick auf die zahlreichen demnächst auslaufenden Konzessionen an ein volatiles wirtschaftliches Umfeld anzupassen. Darüber hinaus müssen die Wasserkraftanlagen angepasst werden, um die Umweltauswirkung so gering wie möglich zu halten und in jedem Fall die Bestimmungen der jüngsten Revision des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) einzuhalten. Um der Komplexität dieser Zusammenhänge Rechnung zu tragen, hat das Kompetenzzentrum SCCER-SoE fünf Kernpunkte für die die zweite Phase seines Projekts ermittelt:

  • Ausarbeitung von Spezifikationen, die gleichermassen die Infrastruktur und den Betrieb von Wasserkraftanlagen im Hinblick auf eine Verbesserung ihrer Flexibilität betreffen.
  • Berücksichtigung des Einflusses der klimatischen Veränderungen auf die Wasserressourcen, um Strategien für die Sanierung der Anlagen zu entwickeln.
  • Kontrolle der Umweltauswirkungen, die mit extremen Naturereignissen und den neuen Betriebsbedingungen der Kraftwerke verbunden sind, beispielsweise im Zusammenhang mit schnellen Änderungen der Durchflüsse unter Einhaltung des GSchG.
  • Entwicklung von Methoden für die Planung, die die Unwägbarkeiten der Konjunktur berücksichtigen.
  • Management der Sedimentation in den Staubecken, um eine nachhaltige Bewirtschaftung der Stauanlagen zu ermöglichen.

In der zweiten Phase des SCCER-SoE werden die Forschenden der Hochschulen und die Bundesämter in Zusammenarbeit mit Partnern der Wasserkraftbranche ihre Mittel und Kompetenzen bündeln müssen, um im Rahmen einer intensiven und integrierten Forschung nummerische Modelle zu entwickeln, die sich auf verschiedene Aspekte des Betriebs von Wasserkraftanlagen anwenden lassen. Der Nutzen solcher Modelle reicht beispielsweise von der kurz- und längerfristigen Vorhersage der Verfügbarkeit der Ressource Wasser bis hin zur Simulation der Erosion durch Sedimente an den Bauteilen einer Turbine, um Wartungsarbeiten im Voraus zu planen. Zudem wird ein Innovationsportfolio entwickelt, um das höchstmögliche Mass an technologischer Ausgereiftheit zu erreichen. Die zweite Phase des Projekts sieht ausserdem die Einrichtung von Demonstrationsanlagen vor, sei es für die Sanierung und Bewirtschaftung von über 20 Kraftwerken mit geringer Einheitsleistung oder für die Umsetzung von Strategien für die Sanierung bestehender Anlagen, beispielsweise im Rahmen des Projekts FLEXSTOR in Partnerschaft mit KWO (erfahren Sie mehr über dieses Projekt im SCCER-SoE Newsletter 1 / 2016).

Politischer Konsens

Die Mobilisierung wissenschaftlicher Kapazitäten im SCCER-SOE macht es möglich, die gesteckten technischen Ziele zu erreichen. Ein politischer Konsens zwischen den verschiedenen Körperschaften, namentlich den Kantonen und / oder Gemeinden, ist aber unabdingbar, um mit den Betreibern dauerhafte rechtliche und wirtschaftliche Bedingungen für die Branche auszuhandeln, insbesondere im Hinblick auf den Wasserzins. Das ist der Preis für das Erreichen des ehrgeizigen Ziels des Bundesrates.

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Autor

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Prof. Dr. François Avellan ist stellvertretender Leiter des SCCER-SoE und Professor für hydraulische Maschinen am Institut für Maschinenbau an der EPF Lausanne.