Eine der Herausforderungen, vor denen die Tiefengeothermie-Exploration steht, ist das Auftreten von Kohlenwasserstoffanreicherungen (wie Erdgas oder Rohöl) im Untergrund. Ist dies ein Problem für die Schweiz? Gibt es Anreicherungen von Kohlenwasserstoffen, welche die Entwicklung der Geothermie in der Schweiz behindern könnten? Könnten sich diese beiden Georessourcen die gleichen Reservoirs und Fliesswege teilen und wie könnte die Entwicklung der geothermischen Energieressourcen dadurch beeinflusst und beeinträchtigt werden? Das Projekt UNCONGEO versucht, all diese Fragen zu beantworten.
Ziel des UNCONGEO-Projekts ist die Vorhersage und Quantifizierung der Risiken für die geothermische Explorationstätigkeit in der Schweiz im Zusammenhang mit dem Vorkommen von Erdgas und Erdöl im Untergrund. UNCONGEO – unterstützt vom Bundesamt für Energie (BFE), der Schweizerischen Geologischen Landesvermessung (Swisstopo), der NAGRA sowie den Kantonen Genf und Waadt – leistet einen wesentlichen Beitrag zu den vom SCCER-SoE behandelten Themen im Zusammenhang mit den Herausforderungen der geothermischen Tiefenerkundung in Sedimentbecken. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir – eine Gruppe von Forschenden der Universität Genf – einen dem Industriestandard entsprechenden Ansatz zur Modellierung von Kohlenwasserstoffsystemen angewandt, der multidisziplinäre und multiskalige Daten aus dem Untergrund mit Hilfe thermischer Modellierung integriert.
In der ersten Phase (2017-2019) konzentrierten sich die Aktivitäten der UNCONGEO auf die Rekonstruktion der thermischen Geschichte des Schweizerischen Vorlandbeckens und deren Zusammenhang mit der Entstehung, Migration und Akkumulation von Kohlenwasserstoffen. Die Untersuchung umfasste mehrere Gebiete: die Region St. Gallen, den Kanton Waadt, die Nordostschweiz und den Kanton Genf. Der Arbeitsablauf umfasst die Rekonstruktion eines geologischen Modells, basierend auf seismischen Daten und Bohrlochdaten, die petrographische und geochemische Charakterisierung der wichtigsten Elemente des Kohlenwasserstoffsystems (Ausgangsgesteine, Reservoirs und Dichtungen) und die Definition der möglichen stratigraphischen und strukturellen Sperren. Diese Ergebnisse erlauben es, Risikokarten zu rekonstruieren, welche die Wahrscheinlichkeit zeigen, in einem bestimmten Gebiet Kohlenwasserstoffe im Untergrund zu finden.
Die im Rahmen dieses Projekts durchgeführten Arbeiten verbessern das Verständnis der tektonischen, geodynamischen und stratigraphischen Variablen, welche die Bildung und Verteilung der Kohlenwasserstoffreserven im Schweizerischen Vorlandbecken steuern. Wir identifizierten auch die wichtigsten Unsicherheiten bei den Ergebnissen der Modellierung des Kohlenwasserstoffsystems. Die künftigen Aktivitäten des Projekts werden sich darauf konzentrieren, diese Unsicherheiten zu verringern und das Risiko besser zu quantifizieren, das mit dem Vorhandensein von Kohlenwasserstoffen in spezifischen Interessengebieten verbunden ist.
Das anschaulichste Beispiel für den vom UNCONGEO-Projekt übernommenen Arbeitsablauf ist der Fall der St. Galler Studie. Die St. Galler Tiefengeothermiebohrung wurde zunächst als Teil eines hydrothermalen Dublettenbohrlochs im Zeitraum 2011-2012 konzipiert und im Laufe des Jahres 2013 gebohrt. Das Hauptziel der Bohrung war die Einführung der Geothermie als Hauptwärmequelle für das bestehende lokale Fernwärmenetz und möglicherweise auch für die Stromproduktion. Während des Bohrvorgangs gelangte in einer Tiefe von 4450 Metern unter der Erdoberfläche Erdgas in das Bohrloch und erzeugte einen Gasstoss. Um den plötzlichen Anstieg des Gaszuflusses unter Kontrolle zu halten, wurden schwere Bohrschlämme, Süsswasser und Zirkulationsmaterialien in das Bohrloch gepumpt. Dieser Vorgang löste Mikroseismizität um das Gebiet herum aus, hauptsächlich unterhalb der Zieltiefe. Es wurde eine Reihe von Erdbeben ausgelöst, die in einem Magnitude-3.5-Beben gipfelten, das von der Bevölkerung in der Nordostschweiz weitverbreitet wahrgenommen wurde (Intensität IV auf der europäischen makroseismischen Skala EMS-98). Geochemische Analysen dieses Gases deuten auf einen thermogenen Ursprung hin, also aus tiefem, reifem Ausgangsgestein.
Im Rahmen des UNCONGEO-Projekts haben wir die wichtigsten Elemente und Prozesse definiert, die im Kohlenwasserstoffsystem im Raum St. Gallen vorkommen, was uns dazu veranlasst hat, das Kohlenwasserstoffpotential (Menge des erzeugten Gases, potentielle Reservoirs, Volumen der akkumulierten Kohlenwasserstoffe, etc.) der Umgebung der Bohrung abzuschätzen. Um diese Ziele zu erreichen, rekonstruierten wir ein thermisches 3D-Modell, das auf der Interpretation und Tiefenkonversion der seismischen 3D-Vermessungsdaten basiert. Die Ausgangsgesteine, die sich höchstwahrscheinlich in den tief gelegenen permo-karbonischen Grabenbrüchen befinden und aus Kohle und kohlenstoffhaltigen Schiefern bestehen, erzeugen derzeit Gas. Das Volumen der erzeugten Kohlenwasserstoffe steht im Zusammenhang mit der Mächtigkeit der dem Modell zugeordneten Ausgangsgesteine, die wir aus den Daten der Versatzbohrungen extrapoliert haben. Nur ein minimaler Anteil der erzeugten Kohlenwasserstoffe hat sich in Reservoiren angesammelt, die sich hauptsächlich in den permokarbonischen Sandsteinen und den untersten Einheiten des Mesozoikums befinden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das für diese Ansammlungen berechnete Volumen hauptsächlich von der Genauigkeit der Verteilung und Grösse der stratigraphischen und strukturellen Sperre abhängt. Weitere Forschungsarbeiten werden darauf abzielen, die Unsicherheiten bei der Kontrolle des Volumens der in dem Gebiet erzeugten und akkumulierten Kohlenwasserstoffe zu begrenzen und eine zuverlässige Bewertung des im St. Galler Untergrund verborgenen Geoenergiepotenzials zu ermöglichen.
In dieser Arbeit haben wir gezeigt, dass durch die Anwendung eines thermischen Modellierungs-Workflows Gasakkumulationen vorhergesagt werden können, wie im Fall der Region St. Gallen gezeigt wurde. Im Rahmen des UNCONGEO-Projekts werden weitere Forschungen im gesamten Mittelland durchgeführt, um die Gebiete zu individualisieren, in denen Kohlenwasserstoffe im Untergrund zu finden sind und die somit ein Risiko für die geothermische Energieexploration darstellen.