Januar 2021 - von Dr. Matteo Spada und Dr. Peter Burgherr
Nachhaltigkeit ist ein Schlüsselelement für die Energiewende in der Schweiz. In dieser Studie untersuchten Forschende des Paul Scherrer Instituts (PSI) die Eignung von potentiellen Gebieten für Tiefengeothermie-Systeme in der Schweiz im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Tiefengeothermie generell nachhaltig ist, insbesondere im Nordosten der Schweiz. Die Entscheidungsträger müssen jedoch Zielkonflikte zwischen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekten sowie die Präferenzen der Interessengruppen berücksichtigen.
Die Energiestrategie 2050 verlangt, dass die Schweiz die Kernenergie durch nachhaltige, kohlenstoffarme Energietechnologien ersetzt. Eine dieser Technologien ist die Tiefengeothermie (DGE), die eine Grundlastoption mit grossem Potenzial darstellt. Mögliche Kraftwerkstandorte sind jedoch durch ihre Nachhaltigkeitsleistung eingeschränkt, die von den geologischen Bedingungen sowie von wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten abhängt.
Auf der Grundlage dieser Voraussetzungen entwickelten Forschende der Gruppe für Technologiefolgen-Abschätzung am PSI für die DGE ein Instrument zur Bewertung der Nachhaltigkeit von potenziellen Gebieten, das die Multikriterien-Entscheidungsanalyse (Multi-Criteria Decision Analysis, MCDA) sowie ein Geographisches Informationssystem (GIS) kombiniert. Die MCDA ermöglicht es, eine Vielzahl von Aspekten auf transparente Weise zu berücksichtigen, z. B. ökologische und wirtschaftliche Bedingungen. Das GIS berücksichtigt die räumliche Variabilität des Problems.
Für ihre Nachhaltigkeitsbeurteilung verwendeten sie auf Gemeindeebene für das Schweizer Molassebecken einen sogenannten räumlichen MCDA-Ansatz (sMCDA). Für diesen Teil der Schweiz werden aufgrund der im Vergleich zum Alpenraum homogeneren – und damit geeigneteren – geologischen Bedingungen mehr DGE-Pilotprojekte erwartet. Insgesamt bewerteten die Forschenden die Nachhaltigkeitsleistung von 1684 Gemeinden.
Gegenwärtig sind in der Schweiz keine DGE-Anlagen in Betrieb. Deshalb definierten die Forschenden sechs hypothetische geothermische Anlagen mit zwei (Duplett-) oder drei (Triplett-) Bohrungen und jeweils drei installierten Anlagenkapazitäten.
Um die Nachhaltigkeit der DGE zu bewerten, definierten sie 12 Indikatoren, welche die drei Säulen der Nachhaltigkeit (Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft) abdecken, die anschliessend für die sechs hypothetischen Fälle von geothermischen Anlagen in jeder Gemeinde geschätzt werden. Die fünf Umweltindikatoren sind Klimawandel, Humantoxizität, Feinstaubbildung, Wasserknappheit und Metallabbau. Bezüglich der Wirtschaftlichkeit wurden die durchschnittlichen Erzeugungskosten und die Unternehmensbesteuerung bewertet. Die fünf sozialen Indikatoren sind das nicht-seismische Unfallrisiko, das natürliche seismische Risiko, die induzierte Seismizität, die Bevölkerung und das Vorhandensein von National-/Regionalparks.
Zur Berechnung der Umweltindikatoren verwendeten die Forschenden die Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA). Der Klimawandel drückt aus, wie viel Kilogramm CO2 pro kWh, das die Anlage während ihrer Lebensdauer produziert, in die Atmosphäre freigesetzt wird. Die Humantoxizität misst die Anzahl der durch Krankheit oder Behinderung verlorenen Jahre pro kWh, die vom Kraftwerk während seiner Lebensdauer produziert werden. Die Feinstaubbildung misst das Gewicht des von der Anlage während ihrer Lebensdauer freigesetzten PM10 pro kWh. Der Wasserverbrauch und der Metallverbrauch entsprechen dem Gewicht des spezifischen Ressourcenverbrauchs pro kWh, den die Anlage während ihrer Lebensdauer produziert. Alle diese Indikatoren variieren räumlich und reagieren empfindlich auf den Temperaturgradienten im Untergrund. Der Indikator "Durchschnittliche Erzeugungskosten" misst die durchschnittlichen Kosten, einschliesslich des amortisierten Kapitals, der wiederkehrenden Kosten und der Kosten am Ende der Lebensdauer eines DGE-Projekts pro kWh während der Lebensdauer der Anlage. Er reagiert ebenfalls empfindlich auf den Temperaturgradienten im Untergrund. Folglich berechneten die Forschenden unterschiedliche Werte dieser Indikatoren für jede Gemeinde, basierend auf dem Temperaturgradienten des Untergrundes in der Schweiz.
Im Gegensatz dazu sind für das nicht-seismische Unfallrisiko keine räumlichen Auswirkungen vorhanden, da dieser Indikator nur von der Anzahl der Bohrungen abhängt. Die Unternehmensbesteuerung, die je nach Tonnage variiert, bezieht sich auf die prozentuale Besteuerung in den Branchen. Das natürliche seismische Risiko wird auf einer Ordinalskala als niedrig, mittel oder hoch ausgedrückt, basierend auf den seismischen Zonen gemäss der Norm 261 des Schweizerischen Ingenieurvereins (SIA). Die Forschenden betrachten dies als Indiz für die gesellschaftliche Akzeptanz, wobei hohe Werte einer geringeren gesellschaftlichen Akzeptanz entsprechen und umgekehrt. Für den Indikator Bevölkerung verwendeten sie die Einwohnerzahl. Je grösser die Bevölkerung in einer Gemeinde ist, desto höher ist das Risiko potenziell betroffener Einwohner z. B. durch induzierte Seismizität.
Das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von National-/Regionalparks zeigt, ob eine Gemeinde für ein potenzielles DGE-System besser geeignet ist, da Parks bestimmten Vorschriften unterworfen werden können, die den Beginn oder sogar die Akzeptanz eines DGE-Projekts beeinflussen können. Die Forschenden schätzten den Indikator für induzierte Seismizität auf der Grundlage des erwarteten Gesamtvolumens der in der Stimulation injizierten Flüssigkeit. Je höher das Volumen, desto höher das Risiko von induzierter Seismizität.
Die Forschenden schätzten die Indikatorwerte für die sechs hypothetischen geothermischen Anlagen in jeder Gemeinde und speisten sie in die sMCDA ein. Der Algorithmus wies dann jeder Gemeinde eine Nachhaltigkeits-Klasse zu (hoch, mittelhoch, mittel, mittel-niedrig, niedrig), wobei die Akzeptanz eines Entscheidungsträgers berücksichtigt wurde, d. h. wie anspruchsvoll ein hypothetischer Entscheidungsträger ist, die vorgeschlagene Klasse der Nachhaltigkeit, die Präferenzen der Interessengruppen und die Unsicherheit der Indikatoren zu akzeptieren. Da die Forschenden keine Umfrage durchführten, um die Präferenzen der Stakeholder zu ermitteln, definierten und verwendeten sie repräsentative, künstliche Präferenzprofile.
Im Durchschnitt legen die Ergebnisse dar, dass die Nachhaltigkeitsleistung der DGE in der Schweiz im Nordosten der Schweiz hoch ist. Die künstlichen Stakeholder-Profile zeigen jedoch deutlich, dass unterschiedliche Profile die Nachhaltigkeitsleistung einer Gemeinde beeinflussen können. Dies verdeutlicht die Sensitivität des Rankings gegenüber subjektiven Präferenzen der Stakeholder. Deshalb müssen Kompromisse im Rahmen eines fundierten Entscheidungsprozesses und zur Steuerung der öffentlichen Debatte sowie der partizipativen Prozesse in Betracht gezogen werden.
Dr. Matteo Spada hat einen MSc in Physik von der Universität Bologna und einen Doktortitel in Geophysik von der ETH Zürich. Er ist Senior Researcher in der Gruppe für Technologiefolgen-Abschätzung (TAG) des Labors für Energiesystemanalyse (LEA) am Paul Scherrer Institut (PSI). Seine Forschungsinteressen konzentrieren sich hauptsächlich auf (i) unfall- und umweltrisikobedingte Unfälle im Zusammenhang mit der vergleichenden Bewertung von Energietechnologien, Belastbarkeit, Nachhaltigkeit, Energiesicherheit und Schutz kritischer Infrastrukturen; (ii) Entwicklung und Unterstützung von Algorithmen für komplexe Entscheidungsprozesse, einschliesslich Multi-Criteria Decision Analysis (MCDA) und spatial MCDA (sMCDA), für die Nachhaltigkeitsbewertung. Matteo ist auch einer der Verantwortlichen für die PSI-Datenbank ENSAD (Energy-Related Severe Accident Database) und der Hauptverantwortliche für die in der Gruppe entwickelten MCDA-Webtools. Er publiziert regelmässig in von Fachkollegen begutachteten wissenschaftlichen Zeitschriften und anderen Arten von Publikationen und präsentiert seine Arbeiten auf internationalen Konferenzen und Tagungen. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Betreuung von Studenten auf verschiedenen Ebenen (PhD, MSc, BSc, Praktikanten), Postdocs und Mitarbeitern.
Dr. Peter Burgherr besitzt einen MSc und einen Doktortitel der ETH Zürich. Er leitet die Interdisziplinäre Gruppe für Technologiefolgen-Abschätzung (TAG) des Labors für Energiesystemanalyse am Paul Scherrer Institut (PSI). Die TAG führt integrierte Beurteilungen aktueller und zukünftiger Energietechnologien durch, um die komplexen Entscheidungsprozesse hin zu einem kohlenstoffarmen, nachhaltigen Energiesystem zu unterstützen. Seine persönlichen Forschungsinteressen konzentrieren sich (i) auf die vergleichende Risikobewertung im Energiesektor und deren Relevanz im breiteren Kontext von Nachhaltigkeit, Widerstandsfähigkeit, Energiesicherheit und Schutz kritischer Infrastrukturen; und (ii) auf die Anwendung von MCDA-Methoden zur Identifizierung von Kompromissen und robusten Lösungen. Darüber hinaus ist er auch hauptverantwortlich für die IÖD-Datenbank ENSAD (Energy-Related Severe Accident Database), die weltweit die massgeblichste Datenbank über schwere Unfälle im Energiesektor ist. Er präsentiert seine Arbeit regelmässig auf internationalen Konferenzen und Tagungen, publiziert in wissenschaftlichen Fachzeitschriften mit Peer-Review, verfasst Beiträge für Bücher und verschiedene andere Publikationen. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Betreuung von Studenten auf verschiedenen Ebenen und Vorträge an verschiedenen Institutionen.