16. November 2016 - von Robert Boes
Wasserkraft ist weltweit die wichtigste Quelle für erneuerbare elektrische Energie. Oft stören aber Sedimente ihren reibungslosen Betrieb. Diese lagern sich am Grund von Stauseen ab oder führen zu einer erhöhten Abnutzung der Turbinen. Obwohl zahlreiche Massnahmen bekannt sind, um die negativen Auswirkungen von Sedimenten in Grenzen zu halten, sind an jedem Standort individuelle Lösungen erforderlich. Neue Methoden der Echtzeit-Überwachung geben Aufschluss über den Transport, die Ablagerung und die Beseitigung von Sedimenten sowie deren Einfluss auf die Erosion von hydraulischen Maschinen. Diese Kenntnisse sind notwendig, um den langfristigen Betrieb von Wasserkraftanlagen sicherzustellen.
Viele Stauseen und Flussabschnitte oberhalb von Laufwasserkraftwerken füllen sich mit Geschiebe und Erosionsmaterial aus ihren Zuflüssen. Ohne passende Gegenmassnahmen verringert sich das Stauvolumen stetig, bis es irgendwann komplett verschwindet. Das beeinträchtigt die Produktion von Wasserkraft: Ein Speicherkraftwerk wird so allmählich zu einem Laufkraftwerk und verliert damit seine Hauptfunktion. Diese besteht darin, bei hoher Nachfrage Spitzenenergie zu liefern. Weiter nutzen Sedimente hydraulische Maschinen ab, beispielsweise Turbinen und Pumpen. Sie schaden aber auch Nebenanlagen wie Stauwehren, Entsandern oder Spülkanälen. Das erhöht die Kosten für Betrieb und Unterhalt. Der «hydro-abrasive» Verschleiss von Turbinen verändert zudem deren Geometrie, was den Wirkungsgrad und damit die Produktionskapazität weiter senkt.
Es gibt eine Vielzahl von Massnahmen, um mit Sedimenten optimal umzugehen. Ihnen allen ist gemein, dass sie hohe Investitionskosten verursachen oder sehr viel Wasser benötigen, das dann nicht mehr für die Energieproduktion bereit steht. Ohne Kompromisse lassen sich Wasserkraftwerke also nicht langfristig wirtschaftlich, umweltfreundlich und sozialverträglich betreiben. Zudem schreiben heutzutage die Wasserrechtsgesetze vieler Länder vor, die Durchgängigkeit von Sedimenten an Standorten wiederherzustellen, wo diese teilweise oder ganz durch Stauwehre, Talsperren oder andere Querbauwerke unterbrochen ist.
Zu den erfolgsversprechenden Lösungen, die technisch machbar und umweltverträglich sind, zählen unter anderem Folgende:
Eine weitere Methode, die meiner Ansicht nach künftig weiter erforscht werden sollte, ist das stetige Durchleiten von Schwebstoffen via Triebwasserweg und Turbinen in unterhalb liegende Flussabschnitte. Auf diese Weise bleibt der Sedimentfluss weitgehend auf seinem ursprünglichen Niveau vor dem Bau der Wasserkraftanlagen erhalten. Diese Methode ist trotz der damit verbundenen erhöhten Abnutzung von hydraulischen Maschinen vielversprechend, insbesondere in alpinen Staubecken, wo alternative Lösungen entweder unerschwinglich oder von Gesetzes wegen nicht umsetzbar sind. Spezielle Beschichtungen für Turbinen helfen, der Abnutzung entgegenzuwirken. Eine ständige Echtzeit-Überwachung der Konzentration und Partikelgrösse von Sedimenten ermöglicht es den Betreibern, kurzfristig einzugreifen: So könnten sie, sobald gewisse Schwellenwerte während eines Hochwassers erreicht werden, die Energieproduktion kurzzeitig einstellen, um eine überproportionale Abnutzung der Maschinen zu vermeiden.
Unsere Forschung im Rahmen des SCCER-SoE konzentriert sich einerseits auf die Erosion von Turbinen, auf Sedimentumleitstollen und Spülkanäle. Andererseits entwickeln wir Vorhersagemodelle und Messtechniken für die Echtzeit-Überwachung des Geschiebes und der Schwebstoffe unter Verwendung experimenteller und numerischer Methoden. Vertiefte Kenntnisse der relevanten Prozesse und Messtechniken sind die Basis für standortspezifische Lösungen, die den Umgang mit Sedimenten optimieren.
Mit dem zunehmenden Alter von Stauseen und dem kontinuierlichen Rückzug der Gletscher aufgrund des Klimawandels wird das Sedimentmanagement bei Wasserkraftanlagen je länger je bedeutender, weil Erosionsmaterial und Geschiebe zunehmen. So bedauerlich der Gletscherrückzug ist, er bietet auch interessante neue Möglichkeiten, um die Wasserkraft im Einklang mit der Energiestrategie 2050 weiter auszubauen.
Ausfluss aus dem Sedimentumleitstollen Solis in die Albula (GR; Quelle: C. Oertli, EWZ Kraftwerke Mittelbünden und C. Auel, ehemals VAW, ETH Zürich)
Diesen Beitrag finden Sie auch im Zukunftsblog der ETH Zürich.
Prof. Dr. Robert Boes ist Direktor der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), Professor für konstruktiven Wasserbau an der ETH Zürich und Projektleiter beim SCCER-SoE.