Mai 2020 - von Dr. Benjamin Hohermuth und Prof. Dr. Robert Boes
Wasser-Luft Strömungen mit hohen Geschwindigkeiten treten oft in hydraulischen Bauwerken wie Hochwasserentlastungen und Tiefauslässen an Talsperren auf. Lufteintrag beeinflusst die Fliesseigenschaften des Wasser-Luft-Gemisches erheblich und muss daher bei der Bemessung dieser sicherheitsrelevanten Bauwerke berücksichtigt werden. Bestehende Bemessungsrichtlinien basieren in erster Linie auf physikalischen Modellversuchen, die Massstabseffekten unterliegen können. Ein SCCER-SoE-Projekt an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich hat daher das Ziel, die notwendigen Prototypdaten bereitzustellen, um das Ausmass dieser Massstabseffekte zu beurteilen.
Strömungen mit hohen Geschwindigkeiten sind üblich in sicherheitsrelevanten hydraulischen Infrastrukturen wie Hochwasserentlastungen und Tiefauslässen an Talsperren. Der Eintrag von Luft ist ein typisches Strömungsmerkmal, das durch turbulente Wechselwirkungen an der Wasser-Luft-Grenzfläche verursacht wird und zu einem Aufbrechen der freien Oberfläche führt. Dies bedeutet, dass sich die normalerweise glatte Wasseroberfläche in eine Mischung aus Wasser und Luft auflöst. Die mitgeführte Luft verändert die Fliesseigenschaften dieses Wasser-Luft-Gemisches stark, was die Ingenieure bei der Bemessung hydraulischer Bauwerke berücksichtigen müssen.
Messungen von Wasser-Luft Strömungen mit hohen Geschwindigkeiten im Prototypmassstab sind kompliziert (z. B. aufgrund von Zugangsschwierigkeiten und hohen Kosten) und daher selten. Deshalb untersuchten Forschende Wasser-Luft Strömungen bisher hauptsächlich in Labormodellen.
Die Studien im Labor zeigten, dass Massstabseffekte verschiedene Wasser-Luft-Strömungseigenschaften wie die Grössenverteilung von Blasen und Tröpfchen beeinflussen. Eine Extrapolation der so gemessenen Eigenschaften auf Prototypdimensionen ist daher mit grossen Unsicherheiten behaftet. Neue Studien mit Prototypdaten von Schweizer Talsperren deuten darauf hin, dass Massstabseffekte auch wichtige Bemessungsgrössen wie den Luftbedarf von Tiefauslässen erheblich beeinflussen können. Dies unterstreicht den Bedarf an detaillierten Prototypdaten zur Validierung bestehender physikalischer und numerischer Modellierungsansätze. Dieses SCCER-SoE-Projekt der VAW an der ETH Zürich hat daher das Ziel, durch die Messung der Wasser-Luft-Strömungseigenschaften und des Luftbedarfs im Prototypmassstab die fehlende Validierung der Wasser-Luft-Strömungsforschung bereitzustellen und Bemessungsempfehlungen zu erarbeiten.
Im Frühjahr 2019 entwickelten Forschere der VAW gemeinsam mit Partnern des Wasserforschungslabors der Universität von New South Wales (Sydney, Australien) eine Instrumentierung zur Messung von Zweiphasenströmungen an Auslässen und Hochwasserentlastungen im Prototyp. Sie installierten dieses System im Hochwasserentlastungstunnel der Talsperre Luzzone im Kanton Tessin, Schweiz. Das System ist in der Lage, Wasser-Luft-Strömungseigenschaften wie Strömungsgeschwindigkeit, Luftkonzentration sowie Blasen- und Tröpfchengrössen bei bis zu ~40 m/s Fliessgeschwindigkeit zu messen (siehe Bild auf der rechten Seite). Zusätzlich installierten sie in den Belüftungsleitungen der Mittel- und Grundablässe der Luzzone-Talsperre sogenannte Kiel Sonden und handelsübliche Drucksensoren, um den Luftbedarf und den Luftdruck zu überwachen. Dieser Aufbau benötigte die Installation von mehreren hundert Metern Kabeln, die Wasserströmungsgeschwindigkeiten von bis zu 45 m/s und Luftströmungsgeschwindigkeiten von etwa 100 m/s standhalten mussten.
Im Oktober 2019 führten die Forschenden während eines Sedimentspülvorgangs eine Messkampagne durch. Dabei wurden sowohl der Mittel- als auch der Grundablass mehrere Stunden lang betrieben. Die gesammelten Daten für die Wasser-Luft-Strömungseigenschaften erreichten dabei Wasserdurchflüsse bis zu 12.5 m3/s. Die Luftbedarfsmessungen am Grundablass wurden sogar bei Durchflüssen von bis zu 36 m3/s bei einer Druckhöhe von 221 Metern (Höhenunterschied vom Wasserspiegel des Stausees zum Auslass) durchgeführt. Beide Messungen übertrafen die unter Laborbedingungen bestimmten Werte signifikant.
Eine erste Analyse der Messungen zeigte eine gute Übereinstimmung mit bestehenden semi-empirischen Gleichungen für die mitgeführte Luftverteilung und die mittlere Geschwindigkeit. Die Daten zeigen jedoch auch signifikant kleinere Tröpfchen im Vergleich zu Modellen im Labormassstab. Kleinere Tröpfchen verbessern die Impulsübertragung vom Wasser zur Luft, was die Unterschätzung des Luftbedarfs in früheren Studien erklären könnte. Das Forschungsteam plant eine zweite Testkampagne für Sommer/Herbst 2020, um dieses Problem weiter zu erforschen.
Diese Studie ist ein wichtiger Schritt in Richtung eines besseren Verständnisses der Massstabseffekte für Wasser-Luft-Strömungen. Sie bestätigt frühere Hinweise, dass die Modellskala einige Bemessungsparameter erheblich beeinflusst. Die Studie verbessert daher das Prozessverständnis der Wasser-Luft-Strömungen und die Bemessung sicherheitsrelevanter hydraulischer Anlagen wie Hochwasserentlastungen und Tiefauslässe.
Dieses Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF, SPARK CRSK-2_190684/1) und vom SCCER-SoE gefördert. Die Autoren danken dem Talsperrenbetreiber Ofible, insbesondere Riccardo Radogna, für die Zusammenarbeit bei den durchgeführten Installationen und Messkampagnen. Dr. Stefan Felder (Wasserforschungslabor der Universität von New South Wales) stand den Autoren beratend zur Seite und unterstützte diese beim Design der Messgeräte.
Benjamin Hohermuth studierte Umweltingenieurwesen an der ETH Zürich und der NTNU Trondheim. Nach seinem Studienabschluss im Jahr 2014 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Flussbau-Gruppe der VAW. In seiner Promotion von 2016 bis 2019 untersuchte er die Belüftungs- und Zweiphasenströmungscharakteristik von Tiefauslässen anhand von grossmassstäblichen Modelltests.
2019 wechselte er als Teilzeit-Postdoktorand zum SCCER-SoE. Zu seinen Hauptaufgaben gehören Forschungsprojekte im Bereich der Wasserkraft und die Unterstützung der Koordinierung und Verwaltung des Work Packages 2 (Wasserkraft). Seine anderen Forschungsaktivitäten bei der VAW konzentrieren sich auf Hochgeschwindigkeitsströmungen in hydraulischen Anlagen.
Robert Boes studierte Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen, der Ecole Nationale des Ponts et Chaussées in Paris und der Technischen Universität München. Nach seinem Diplom wechselte er 1996 an die VAW der ETH Zürich, wo er im Jahr 2000 über die Hydraulik von Treppenschussrinnen promovierte. Nach einer Stelle als Postdoktorand an der VAW wechselte er in die Abteilung für Bauingenieurwesen der TIWAG-Tiroler Wasserkraft AG nach Innsbruck. Dort leitete er interdisziplinäre Projekte in den Bereichen Wasserbau, Wasserkraft und Hochwasserschutz. 2007 wurde er Leiter der Gruppe für Dammbau.
Seit 2009 ist Robert Boes Professor für Wasserbau an der ETH Zürich und Direktor der VAW. Robert Boes ist ausserdem als Berater an Wasserkraft- und Hochwasserschutzprojekten in der Schweiz und im Ausland tätig. Er ist Vorstandsmitglied des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands, des Schweizerischen Talsperrenkomitees und des Energy Science Center der ETH Zürich. Er ist Mitglied des Lenkungsausschusses der Europäischen Energieforschungsallianz (EERA) im Programm „Wasserkraft“ und Leiter des Work Package 2 "Wasserkraft" im SCCER-SoE.