Wie wir die Beteiligung der Öffentlichkeit an Energieprojekten fördern können - ein ganzheitlicher Ansatz

Wie wir die Beteiligung der Öffentlichkeit an Energieprojekten fördern können - ein ganzheitlicher Ansatz

Oktober 2020 - von Franziska Ruef

Die Beteiligung der Öffentlichkeit wird oft als die Lösung gesehen, um gesellschaftliche Akzeptanz von Energieprojekten zu erreichen. Trotz ihrer breiten Anerkennung kann die Öffentlichkeitsbeteiligung je nach Perspektive sehr unterschiedlich definiert werden. Dies kann zu Missverständnissen über Art und Umfang partizipativer Ansätze führen, was Energieprojekte verzögern oder sogar verhindern kann. Basierend auf empirischen Erkenntnissen die im Genfer Geothermieprogramm gewonnen wurden, haben wir einen ganzheitlichen Ansatz entwickelt, um die Beteiligung der Öffentlichkeit zu gestalten.

In der Schweiz können die Bürgerinnen und Bürger mehrmals im Jahr über nationale und lokale Themen abstimmen. Dadurch ist die Schweizer Öffentlichkeit daran gewöhnt, konsultiert zu werden. Besonders bei Energieprojekten wird die Bedeutung der Öffentlichkeitsbeteiligung von Forschenden und Praktikerinnen und Praktikern zunehmend anerkannt und ist in vielen Fällen ein zentraler Teil der Projektplanung geworden. Energiewenden erfordern partizipative Formate, um unvorhergesehene Herausforderungen zu antizipieren und bewältigen zu können und um mit den Bedürfnissen, Wahrnehmungen und Ängsten der Öffentlichkeit umzugehen.

Projektmanagerinnen und Projektmanager verwenden allerdings häufig sogenannte klassische Beteiligungsformate wie Beratungsprozesse (z. B. Volksabstimmungen oder Informationsveranstaltungen). Gemäss der „Leiter der Beteiligung“ 1 (bezogen auf den Grad der Beteiligung am Entscheidungsprozess) berücksichtigen diese und ähnliche Formate weder den Kontext noch die tatsächlichen Bedürfnisse der Öffentlichkeit in Bezug auf partizipative Ansätze.

Im Rahmen unseres Forschungsprojekts „Territorialisierung der Geothermischen Energie in Genf“ analysieren wir in Zusammenarbeit mit dem Genfer Geothermieprogramm Geothermie2020. Prozesse im Kontext der Entwicklung der Geothermie in der Region Genf, um Instrumente für fundierte, ehrliche und demokratische Beteiligung der Öffentlichkeit zu entwerfen. Wir haben einen transdisziplinären Forschungsansatz angewendet, der verschiedene Fokusgruppendiskussionen und Beobachtungen vor Ort umfasste, um die Perspektiven des Programmmanagements und der Bewohnerinnen und Bewohner näher zu betrachten.

Der Ansatz: ein zweidimensionales Raster

Empirische Erkenntnisse aus unserem Projekt zeigen, dass die Perspektiven auf die potentiellen Partizipationsformate des Programmmanagements und der Anwohnerinnen und Anwohner signifikante Unterschiede, aber auch einige Ähnlichkeiten aufweisen. Wir haben daher ein Raster entwickelt, um diese beiden Perspektiven zu erfassen, zu vergleichen und zu visualisieren.

Die Zeilen und Spalten zeigen das Ergebnis unserer Analyse, durch Kategorisierung und Interpretation der Referenzen durch die zwei Perspektiven. Die vertikale Achse ist das Ergebnis der Interpretation von Aussagen über die Teilnahme unter Bezugnahme auf in der Literatur gefundene Konzepte (z. B. interaktive Formate, Pressekonferenz, Proteste usw.). Die horizontale Achse unterscheidet die Formate nach ihrem Engagement und ihrer Führung (z. B. strategisch, öffentlich, privat usw.). Dies ermöglicht uns, nicht nur die Unterschiede zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich zu erfassen, sondern auch die individuellen Beteiligungsniveaus, die mit der Selbstauswahl und der Wahrnehmung der Offenheit oder Exklusivität verschiedener Formate verbunden sind. Das Hinzufügen dieser Dimension ist wichtig, um Fragen zu Macht, Zugänglichkeit und Rechenschaftspflicht zu beleuchten.

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Das Ausfüllen des Rasters im Genfer Kontext zeigt, wie unterschiedlich das Programmmanagement und die Bewohnerinnen und Bewohner die Teilnahmeformate wahrnehmen. Die Programmmanager sehen partizipative Formate meist im klassischen Sinne, von Informationen über Konsultationen bis hin zur Koproduktion. Die Bewohnerinnen und Bewohner konzentrieren sich mehr auf selbstorganisierte Bottom-up-Formate. Was die Programmmanager betrifft, so wird die Bereitstellung von Informationen als ein entscheidender Aspekt der Teilnahme angesehen.

Verwendung des Rasters

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Raster zu verwenden. Sie unterscheiden sich darin, wer es für welchen Zweck nutzt und wie viel Zeit dafür zur Verfügung steht.

1. Bewertung bestehender oder geplanter Beteiligungsformate

Für Projektmanagerinnen und -manager, die partizipative Formate planen (oder durchgeführt haben): Platzieren Sie die Formate, die Sie verwenden oder die Sie verwenden möchten im Raster, um einen Überblick zu erhalten, wer für deren Implementierung verantwortlich ist, wer Zugriff auf die Implementierung hat und wer nicht, und ob sie institutionell geführt oder selbst organisiert sind. Diese Übung können Sie im Projektmanagementteam oder in einem Workshop zusammen mit den beteiligten Stakeholdern durchführen.

Zeitfenster: Etwa ein halber Tag, je nachdem, ob die Durchführung in einem Workshop oder im Management-Team stattfindet.

Erwartete Ergebnisse: Bewusstsein der möglichen Nachteile der gewählten Formate, Sensibilität für Ausschlussdynamiken und den Einfluss einer Akteursgruppe auf andere.

2. Planung partizipativer Formate

Für Projektmanagerinnen und -manager sowie andere, die partizipative Formate planen: Das Raster basiert auf einem offenen Konzept der Partizipation, welches über die in der Literatur häufig zitierten traditionellen Formate hinausgeht und daher eine größere Vielfalt potentieller Möglichkeiten bietet, um mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten. Abhängig von der verfügbaren Zeit und den verfügbaren Ressourcen können Sie sogar Interviews mit Bewohnerinnen und Bewohnern führen, um mehr über deren Wünsche und Erwartungen hinsichtlich der Teilnahme zu erfahren und die Antworten in das Raster einzutragen. Wenn Sie keine direkten Beiträge von potenziellen Teilnehmenden suchen, können Sie das Raster verwenden, um verschiedene Teilnahmeformate auszuwählen, die verschiedene Zellen des Rasters abdecken. Die schnellste Möglichkeit ist, zuerst ein Format auf der horizontalen Achse auszuwählen und dann zu überlegen, wo das jeweilige Format auf der vertikalen Achse platziert werden soll.

Zeitfenster: Mehrere Tage bis Monate, je nach gewähltem Ansatz.

Erwartete Ergebnisse: Mehr Offenheit für verschiedene partizipative Formate, auch für die wenig thematisierten. Sensibilität für Zugänglichkeit und Führung. Möglichkeit, eine Partizipationsstrategie zu entwickeln, die eine weite Spanne an Formaten abdeckt.

3. Identifizierung verschiedener Perspektiven und potentielle Adaption und Erweiterung

Für Forschende, Projektmanagerinnen und -manager und andere Interessierte partizipativer Formate und ihrer Konzeptionalisierung: Wie im Genfer Geothermieprojekt demonstriert, können Sie ähnliche Vorgehensweisen in jedem anderen Kontext anwenden, bei dem Partizipation genutzt oder geplant ist. Die Methoden der Fokusgruppen und Teilnehmerbeobachtungen haben sich als sehr wertvoll erwiesen, um die für die partizipativen Formate nötige Tiefgründigkeit zu erhalten. Allerdings können Sie auch teilstrukturierte Interviews, geschriebene Dokumente und informelle Notizen nutzen. Es ist durchaus möglich, dass zukünftige Studien dieser Art unser Raster weiter adaptieren oder erweitern werden.

Zeitfenster: Es ist sinnvoll, Daten über einen langen Zeitraum zu sammeln, um ein umfangreiches Bild der partizipativen Landschaft zu erhalten.

Erwartete Ergebnisse: Umfangreiche Eindrücke der verschiedenen Perspektiven der Partizipation, ihrer Überschneidungen und Unterschiede. Dies wird wiederum nützlich sein, um zu sehen, ob sie mehr oder weniger mit diesen Perspektiven übereinstimmen.

Das Raster könnte für viele andere Anwendungen genutzt werden, wie zum Beispiel das Verfolgen der Entwicklung partizipativer Prozesse mit der Zeit oder für den Vergleich von Formaten für verschiedene Technologien, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Energieprojekte profitieren substantiell von einem ganzheitlichen Partizipationsformat

Egal welcher Ansatz für die Nutzung des Rasters genutzt wird, die zentrale Schlussfolgerung bleibt die gleiche:

Ein Partizipationsformat ist mehr als nur eine einfache Definition ihrer Modalitäten. Sie muss ganzheitlich verstanden werden: Wer steht hinter ihr? Wer ist eingeladen? Wer ist ausgeschlossen? Wer trifft die Entscheidungen? Wird sie von allen involvierten Teilnehmenden gleich verstanden und falls nicht, wo liegen die Unterschiede?

Sensibel für diese Fragen zu sein und sie immer wieder zu stellen, ermöglicht eine effizientere Planung und Durchführung partizipativer Formate. Speziell bei Energieprojekten ist ein besseres Verständnis der Partizipation hilfreich, um diese Projekte mit weniger Risiko für Verzögerungen oder Suspendierungen vorwärts zu bringen.

 

1. Arnstein, S. R. A Ladder Of Citizen Participation. Am. Plan. Assoc. 35, 216–224 (1969).

Autorin

Autorin

Franziska Ruef hat einen M.Sc. in Humangeographie, und ist Doktorandin am transdisziplinären Labor für Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich. Ihr Doktorat ist Teil des Projektes für Territorialisierung der Geothermischen Energie in Genf, eine interdisziplinäre Kollaboration mit dem Genfer Geothermieprojekt. Die Projektresultate werden in die Joint Activity zwischen dem SCCER-SoE und SCCER CREST integriert: Integrierte Entwicklung von Prozessen für Wasserkraft und Tiefengeothermie – Regulation, politische und partizipative Perspektiven.

Detailliertere Informationen zum ganzheitlichen Partizipations-Ansatz finden Sie im von Franziska Ruef, Michael Stauffacher und Olivier Ejderyan kürzlich veröffentlichten Artikel mit dem Titel «Blind spots of participation: How differently do geothermal energy managers and residents understand participation?». Dieser ist auf der Internetseite des Wissenschaftsmagazins Energy Reports verfügbar.