Februar 2018 - von Thomas Driesner
Wie man sich den Untergrund der Schweiz in hunderten und tausenden von Metern Tiefe vorzustellen hat, ist wohl den meisten ein Rätsel. Dabei birgt er wichtige Ressourcen. Während Grundwasser, Kies und Sand seit Langem genutzt werden, verbirgt sich in grösserer Tiefe viel ungenutztes Potential in Form von Erdwärme und porösen Gesteinsschichten. Mit Hilfe von Computermodellen wird der Untergrund sichtbar gemacht und die Nutzung von Geo-Energien planbar.
Als Geologe bin ich immer wieder fasziniert davon, wie viel der Untergrund für unser tägliches Leben liefert: vom Grundwasser, das wir trinken, über Öl und Gas, mit denen wir unsere Fahrzeuge und Heizungen betreiben, bis hin zu Metallen, die für so unterschiedliche Dinge wie Velos, Smartphones und Heizungsrohre unerlässlich sind. Aber auch Baumaterialien wie Sand und Kies sowie die Rohstoffe für Beton und Zement kommen aus dem Boden. In der Schweiz werden zwar weder metallische Erze noch Öl oder Gas gefördert, aber auch unser Untergrund birgt grosses Potential.
Geothermische Wärme zum Beispiel ist überall vorhanden und wird umso ergiebiger, je tiefer man bohrt. Klar, dass man diese gerne anzapfen möchte, um sie für unsere Heizsysteme und zur Stromproduktion zu nutzen. Jedoch ist das schwierig – in vier oder fünf Kilometern Tiefe gezielt und effizient geothermische Energie zu gewinnen, ist ein noch junges Verfahren, an dessen Entwicklung weltweit geforscht wird, auch im Rahmen des SCCER-SoE.
Ein weiteres, spannendes Feld, in dem der Untergrund eine grosse Rolle für umweltfreundliche Energietechniken spielen könnte, ist die Zwischenspeicherung von Energie. Vielfach fällt Energie gerade dann an, wenn man sie nicht braucht, beispielsweise im warmen Sommer. Dem entgegenzuwirken, ist das Ziel des aktuellen Projekts GEothermie 2020 in Genf mit wissenschaftlicher Begleitung des SCCER-SoE: Ein Teil des Wassers, welches durch die Abwärme einer Kehrichtverbrennungsanlage erhitzt wird, soll zukünftig im Sommer nicht wie bisher in das örtliche Fernwärmenetz eingespeist, sondern im tieferen Untergrund in porösen Gesteinsschichten gespeichert werden. Erst im kalten Winter würde man es wieder an die Oberfläche pumpen und den mehreren tausend Haushalten zuleiten.
Um Geo-Energie-Projekte zuverlässig planen zu können, wird ein gutes Bild des Untergrunds benötigt. Ein solches erhält man am besten durch Bohrungen in tausenden Metern Tiefe. Diese sind jedoch teuer, weshalb sie vorwiegend in Gebieten mit grossen Erdöl- und Erdgasvorkommen wie beispielsweise Holland oder Norddeutschland durchgeführt werden. In der Schweiz fehlen solche Vorkommen nach bisherigen Kenntnissen, entsprechend wenige Tiefenbohrungen wurden bisher durchgeführt. Eine Ausnahme stellen die etwa ein Dutzend Bohrungen von der Nagra dar, die im Rahmen der Suche nach geeigneten Standorten zur Entsorgung radioaktiver Abfälle vorgenommen wurden. Zusätzlichen Aufschluss geben seismische Untersuchungen, bei denen man den Pfad von Schallwellen durch den Untergrund verfolgt, um auf die Lage der verschiedenen Gesteinsschichten rückzuschliessen.
Eine Aufgabe des SCCER-SoE besteht darin, aus solchen Bohrungs- und seismischen Daten ein dreidimensionales, virtuelles Modell des Schweizer Untergrunds zu erstellen. Die Führung liegt beim Bundesamt für Landestopografie swisstopo, welches zusammen mit regionalen Partnern (vorwiegend Universitäten) die Daten auswertet und zusammenführt. Darunter befinden sich auch Temperaturmessungen aus tiefen und weniger tiefen Bohrungen (nur wenige hundert Meter), um eine bessere Vorstellung der Temperaturverteilung im Untergrund zu bekommen. Bisher war dies nicht möglich und man konnte sich nur an einer Karte des geothermischen Wärmeflusses an der Oberfläche orientieren. In naher Zukunft wird das neue, dreidimensionale Modell online über swisstopo für Projektplaner und alle anderen Interessierten abrufbar sein. Es wird aufzeigen, welche Gesteinsschichten und Temperaturen in welcher Tiefe vorhanden sind, sodass Fachleute die potentiell besten Orte für Geo-Energie-Projekte identifizieren können.
Aber nicht nur ein Bild des Untergrundes ist wichtig, man muss auch verstehen, ob die angestrebten Technologien im Untergrund überhaupt funktionieren. Bleibt das heisse Wasser nach der Einspeicherung am gewünschten Ort oder fliesst es weiter? Kühlt es im Kontakt mit dem Gestein zu rasch ab? Lösen sich die Minerale im Gestein im heissen Wasser und scheiden sich beim Abkühlen wieder ab? Kommt es durch das Einpumpen zu Bodenbewegungen? Bei der Beantwortung dieser Fragen spielen Computerprogramme, mit denen man diese Prozesse modellieren kann, eine Schlüsselrolle. Forscher des SCCER-SoE sind dabei, solche Programme weiterzuentwickeln. In Zukunft sollen sie beispielsweise direkt die neuen Modelle des Schweizer Untergrunds einlesen können und berechnen, ob und wie eine Geo-Energie-Technologie dort funktionieren kann. Solche Modellierungsverfahren sind ein aktuelles Forschungsgebiet in einer Reihe von Ländern. Im Rahmen der International Partnership for Geothermal Technology (IPGT) tauschen sich unsere Experten mit Kollegen aus Island, Neuseeland, Australien und den USA darüber aus.
Als ich noch Student war, hätte ich mir solche Forschungsaufgaben nicht vorstellen können. Erdwissenschaften galten damals als recht altbacken und wenig relevant für technologische Innovationen. Das hat sich drastisch geändert: spannende und zukunftsorientierte Herausforderungen für eine nachhaltige und umweltfreundliche Energieversorgung sind heute wichtige Forschungsfelder unserer Wissenschaft. Es freut mich für unsere Studierenden, dass diese Themen an der ETH Zürich und anderen Schweizer Universitäten nun so stark vertreten sind.
Prof. Dr. Thomas Driesner des ETH-Instituts für Geochemie und Petrologie war bis Ende 2017 Koordinator des Bereichs Geo-Energien im SCCER-SoE (WP1). Neben der Entwicklung von Modellierungsprogrammen, erforscht er auch natürliche Geothermalsysteme (z. B. in Island) und wie sich Kupfer- und Gold-Erzlagerstätten im Umfeld von Vulkanen bilden.