Preisgetriebener Einsatz von Wasserkraft

Preisgetriebener Einsatz von Wasserkraft

August 2020 - von Dr. Martin Densing

An den Grosshandelsmärkten für Strom ist die Schweizer Wasserkraft vor allem Preisnehmer. Im letzten Jahrzehnt sind die Marktpreise in der Schweiz gesunken, was zu einem Rückgang der Markterlöse führte. Die Gruppe Energieökonomie des Paul Scherrer Instituts analysierte mögliche Markterlöse unter zukünftigen Preisszenarien, um Rentabilitätsbereiche der Schweizer Wasserkraft abzuschätzen.

Der Betrieb der Schweizer Speicherwasserkraft im Marktumfeld ist eine komplexe Aufgabe: Die Kraftwerkseinsatzplanung («Dispatch»), d.h. die Entscheidung, wann Strom erzeugt und wann Wasser (bei Pumpspeicherung) hochgepumpt wird, muss gegenüber den Marktpreisen unter zahlreichen Nebenbedingungen optimiert werden. Die Marktpreise ändern sich stündlich (oder sogar unterstündlich), und der Speicherstand ändert sich durch natürliche Wasserflüsse. Zudem dient Speicherwasserkraft in der Schweiz als saisonaler Langfristspeicher. Die Entscheidung, ob Wasser in der nächsten Stunde turbiniert wird sollte optimal unter der Möglichkeit alternativ in späteren Stunden/Tagen/Monaten zu turbinieren getroffen werden, und dies unter Berücksichtigung des verfügbaren Wassers und der voraussichtlichen Preisentwicklung.

In unserem Projekt im SCCER-SoE bestimmten wir mit preisgetriebener Einsatzoptimierung mögliche Bandbreiten zukünftiger Markterlöse unter Zuhilfenahme von transparenten, vollständig dokumentierten Modellierungsansätzen. Der stündliche Dispatch wird bis zu einem Zeithorizont von einem Jahr optimiert, wobei sowohl stündliche als auch saisonale Preisschwankungen berücksichtigt werden. Die stochastische Modellierung stützt sich auf die statistischen Eigenschaften der Strompreise. Die analysierten Beispiele umfassen Pumpspeicherkraftwerke, «einfache» Speicherwasserkraft unter EU-Rahmenbedingungen, wie auch die Bereitstellung von Ausgleichsenergie.

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Muttsee, Speichersee des neuen 1-GW-Pumpspeicherkraftwerks Linth-Limmern (Photo: Axpo).

Beispiel 1: Schweizer Wasserkraft könnte 2050 höhere Gewinne erwirtschaften

Als Beispiel dient die Optimierung eines 1-GW-Pumpspeicherkraftwerks unter zwei zukünftigen Preisszenarien (1 GW Leistung hat z.B. das Pumpspeicherwerk «Muttsee», das Teil des Linth-Limmern-Kraftwerksystems ist). Die Szenarien gehen, angelehnt an die Energiestrategie des Bundesamts für Energie, von einem mehrheitlichen Einsatz erneuerbarer Energien in der Zukunft aus: Das von uns untersuchte «EOM»-Szenario ("energy-only-market") sieht dabei keine Milderungsmassnahmen gegenüber Preisspitzen (verursacht durch intermittierende erneuerbare Energien) vor, während im «CRM» ("capacity remuneration mechanisms") solche Massnahmen vorhanden sind. Unter beiden Szenarien kann im Jahr 2050 mit einem höheren Preisniveau gerechnet werden, was impliziert, dass die Schweizer Wasserkraft als Preisnehmer wahrscheinlich langfristig (deutlich im EOM) höhere Markterlöse erzielen könnte.

Des Weiteren konnte aufgezeigt werden, dass eine (hypothetische) Erhöhung des Schweizer Speichervolumens ohne eine Erhöhung des Zuflusses einen vernachlässigbaren Einfluss auf die mögliche Produktion hat, was zeigt, dass eine bloße Erhöhung der Dammhöhen, ohne dass mehr Wasser in die Seen gelangt, nicht immer optimal für Schweizer Seen ist. Die Ergebnisse zeigen auch, dass die zukünftigen Preise in den betrachteten Szenarien im Jahr 2050 sehr wahrscheinlich volatiler sind, was bedeutet, dass sich die Pump-Turbinierungs-Frequenz pro Tag fast verdoppeln wird, was sich auf den Turbinenverschleiss und die Anlageeffizienz auswirkt (siehe Abb. 1). Da in den Szenarien die Zunahme der Preisschwankungen erst relativ spät in den Jahren 2035-2050 eintreten wird, können speziell die Pumpspeicherkraftwerke trotz des steigenden Preisniveaus ihre Markterlöse in diesen Szenarien erst relativ spät signifikant erhöhen.

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Abbildung 1: Preisverteilungen und Kraftwerkseinsatzplanung am Beispiel des Pumpspeicherkraftwerks «Muttsee»: Heutiges optimales Einsatzmuster und unter zukünftigem erneuerbaren Szenario (extremes EOM Szenario).

Beispiel 2: Kurz- und mittelfristige Analyse im europäischen Kontext

Im europäischen Kontext und für die Schweizer Speicherwasserkraft gesamthaft (aggregiert) analysierten wir auch ähnliche Szenarien für die kurz- und mittelfristigen Jahre 2025 und 2035: Szenarien mit (i) jährlichen Importen erlaubt (ja/nein), (ii) starker CO2-Reduktion (d.h. hoher CO2-Preis implizit im BFE-NEP-Szenario) und (iii) mit den heutigen Kosten für fossile Brennstoffe in der Zukunft gleichbleibend.

Die Analyse zeigt, dass Wasserkraftwerke mit den Brennstoffkosten der vergangenen Jahre (z.B. CO2-Preis ~10 EUR/tCO2 im europäischen Emissionshandelssystem) vermutlich auch im zukünftigen internationalem Kraftwerksmix umliegender Länder nur wenig rentabel sein werden. Andererseits kann Wasserkraft bei langfristig hohen Gas- (und CO2-) Preisen (sehr) rentabel werden, da z.B. Gaskraftwerke in den umliegenden Ländern die entscheidenden Preissetzer sein werden.

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Abbildung 2: Markterlöse, heute und in zukünftigen Szenarien.

Beispiel 3: Zusätzliche Einnahmen durch Erbringung von Systemdienstleistungen könnten begrenzt bleiben

Die Bereitstellung von Ausgleichsenergie ist grundsätzlich eine zusätzliche Einkommensquelle für flexible Speicherwasserkraft. Wir analysierten die Bereitstellung von sekundärer Ausgleichsenergie in der Schweiz. Es zeigt sich, dass ein fairer Ausgleichsenergiepreis (genauer: der Leistungspreis) mehrheitlich durch die (stündlichen) Spotpreisschwankungen bestimmt wird, wobei das verfügbare Wasserspeichervolumen als zusätzlicher Parameter eingeht. Höhere Preise für die Leistungsbereitstellung in der Zukunft werden daher wahrscheinlich mit erhöhten Marktpreisschwankungen zusammenhängen. Dies deutet darauf hin, dass die zusätzlichen Einnahmen aus solchen Systemdienstleistungen für Speicherwasserkraftwerke begrenzt bleiben werden (relativ zum reinen Energiemarkt und den profitablen Preisspitzen). Geschätzte untere Preisspannen sind in Abb. 3 angegeben, und eine obere Preisspanne unter der Annahme von moderaten Wasserreservoirs im unteren Bereich liegt im betrachteten Zeitrahmen von 2016-2017 bei durchschnittlich relativ niedrigen 20 EUR/MW pro Stunde. Dies deutet darauf hin, dass historisch die versteigerten Preise relativ hoch gewesen sein könnten.

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Abbildung 3: Historische (volumengewichtete) Preise für Sekundärleistung (Swissgrid, 2018) und theoretische Untergrenze für einen fairen Opportunitätspreis, den MAD (mittlere absolute Abweichung vom Median des Strompreises).

Autor

Autor

Dr. Martin Densing ist seit 2009 Mitglied der Gruppe Energiewirtschaft am PSI. Er hat an der ETH Zürich in angewandter Mathematik promoviert. Bevor er zum PSI kam, arbeitete er für verschiedene Beratungsfirmen, die sich auf die Quantifizierung von finanziellen Risiken spezialisierten, und führte eine eigene Unternehmensberatung mit Kunden verschiedener Branchen (IT, Finanz). Er ist Dozent an der Universität Zürich. Die Forschung von Dr. Densing am PSI umfasst die Analyse von Energiemärkten, Dispatch-Optimierung von Speichern und risiko-averse Entscheidungsfindung.

Publikationen

Densing, M. (2020): The value of flexible selling: Power production with storage for spinning reserve provision. European Journal of Operational Research. 281, p. 141–151.

Panos, E. & Densing, M. (2019): The future developments of the electricity prices in view of the implementation of the Paris Agreements: Will the current trends prevail, or a reversal is ahead? Energy Economics. 84, p. 1–17.

Densing, M., Ramachandran, K., Panos, E., Kober, T. (2018): Long term role of Swiss hydropower from an energy systems and market perspective. Paul Scherrer Institute (PSI), AES/VSE PSEL research (Association of electricity suppliers of Switzerland).

Zimmermann, F., Densing, M. et al. (2018): Impact of different market designs in the CWE market area on electricity prices and on the competitiveness of Swiss hydropower (PowerDesign). SFOE-EWG research programme, Swiss Federal Office of Energy (BFE), ARAMIS Swiss Federal Research Database.

Panos, E., Densing, M., Schmedders, K. (2017): Oligopolistic Capacity Expansion with subsequent Market Bidding (OCESM). SFOE-EWG research programme, Swiss Federal Office of Energy (BFE), ARAMIS Swiss Federal Research Database.

Partner

Projektpartner: Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Projektförderung durch: SCCER-SoE, BFE.