November 2018 - von Bettina Schaefli, Pedro Manso, Matthias Huss und Daniel Farinotti
Der Grossteil der Schweizer Wasserkraft wird von Flüssen erzeugt, die durch Gletscher gespeist und beeinflusst werden. Diese Gletscher verlieren permanent an Masse; mit dem positiven Effekt, dass in heissen Sommermonaten die Wassererträge sehr hoch sind. Aber wieviel der Schweizer Wasserkraftproduktion basiert auf der Gletscherschmelze - also auf Wassermassen, die in den kommenden Jahrzehnten nicht durch Niederschlag ersetzt werden können? Ein Team von SCCER-SoE-Forschenden hat diese Frage in einer kürzlich veröffentlichten wissenschaftlichen Publikation beantwortet.
Gerade während heissen Sommern wie demjenigen in 2018 sind die Schweizer Gletscher eine wertvolle Wasserquelle, besonders für die Wasserkraft. Aber wie wir wissen, ziehen sich die Gletscher mehr und mehr zurück. Das bedeutet: Sie geben Wasser frei, dass sie über Jahre bis Jahrhunderte gesammelt und gespeichert haben und das in naher Zukunft nicht durch Niederschlag ersetzt werden kann. Deshalb haben wir - ein interdisziplinäres Team von SCCER-SoE-Forschenden aus der Glaziologe, Hydrologie und dem Hydraulikingenieurwesen - entschieden, die folgenden Fragen zu beantworten und zu quantifizieren: Wie stark hängt die Energieproduktion der Schweizer Wasserkraft vom Schmelzwasser der Gletscher ab? Wie gross sind die lokalen Unterschiede? Wie wird sich die Wasserkraftproduktion in der Zukunft entwickeln? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir die neuesten Datensätze zu den Wasserressourcen der Schweiz, zur Infrastruktur der Wasserkraftwerke sowie zur Entwicklung der Gletschermassen in der Vergangenheit und in der Zukunft verwendet.
Nach unseren Schätzungen speiste der Volumenverlust der Gletscher seit 1980 3.0 % bis 4.0 % der Schweizer Wasserkraftproduktion. Das entspricht 1.0 bis 1.4 TWh/Jahr oder dem jährlichen Stromverbrauch von etwa 230’000 Schweizer Haushalten.
Der Massenverlust der Gletscher wird die Schweizer Wasserkraftwerke auch weiterhin antreiben. Allerdings wird der Anteil der Wasserkraftproduktion, der sich direkt daraus ableitet, von 2070 bis 2090 auf etwa 0.4 TWh pro Jahr sinken. Mit anderen Worten: die Berechnungen gehen von einem Rückgang der Wasserkraftproduktion um bis zu 1 TWh pro Jahr aus, da die Gletscher nicht mehr so grosse Wassermengen freisetzen werden, wie es derzeit der Fall ist.
Es gibt jedoch starke regionale Unterschiede (Abbildung 1). Im Einzugsgebiet der Rhone mit ihren grossen Talgletschern stammten in der jüngsten Vergangenheit zwischen 6,5 % und 8,5 % der jährlichen Wasserkraftproduktion aus dem Massenverlust der Gletscher. Dieser Anteil dürfte zwischen 2040 und 2060 nur geringfügig abnehmen, zwischen 2070 und 2090 wird er sich jedoch halbieren.
Gletscher bedecken lediglich rund 2,5 % des Schweizer Territoriums. Die grosse Bedeutung eines Verlusts dieser Gletschermasse für die Schweizer Wasserkraftproduktion mag daher erstaunen. Zwei Gründe machen den Gletschermassenverlust so bedeutsam: Erstens die hohe Elektrizitätsmenge, welche Wasserkraftwerke, die Gletscherwasser nutzen, mit einer bestimmten Wassermenge erzeugen können (Wirkungsgrad). Zweitens die Tatsache, dass Gletscherwasser auf dem Weg zwischen den Gletschern und der Landesgrenze mehrere Male turbiniert werden kann. Im Einzugsgebiet der Rhone wird zum Beispiel ein Teil des Wassers bis zu neunmal genutzt, bevor es die Schweiz verlässt. Einige Wasserkraftwerke im Wallis und im Berner Oberland können dabei mehr als 3 kWh pro Kubikmeter Wasser produzieren.
Unsere schweizweite Analyse verdeutlicht, dass der Gletscherschmelze in Zusammenhang mit der Energiestrategie 2050 mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Der geschätzte Produktionsrückgang von 1 TWh pro Jahr ist beispielsweise vergleichbar mit dem erwarteten Verlust von 1.4 TWh pro Jahr durch die Umsetzung des Schweizer Gewässerschutzgesetzes. Er liegt auch in der gleichen Grössenordnung wie der erwartete Zuwachs an Wasserkraftproduktion durch zusätzliche, kleine Wasserkraftprojekte.
Was sind die Folgen für die Wasserkraftproduktion in zukünftigen heissen Sommern? Es ist uns wichtig zu betonen, dass sich unsere Analyse auf die jährliche Wasserkraftproduktion und ihr Verhältnis zum Massenverlust der Gletscher konzentriert. Die tatsächliche Wasserkraftproduktion während heisser Sommer wird davon abhängen, wie die Betreiber ihre Produktion in den kommenden Jahrzehnten an die veränderte Wasserverfügbarkeit anpassen.
Bettina Schaefli arbeitete von 2014 bis 2015 als Wissenschaftlerin für das SCCER-SoE. Seit 2016 ist sie SNF-Professorin für Hydrologie an der Universität Lausanne.
Wissenschaftlicher Artikel im Journal «Renewable Energy» (Pre-Print).
Schweizer Gletschermessnetz: www.glamos.ch
Fachbezogene aktuelle Veröffentlichungen der Co-Autoren dieser Studie: