August 2020 - von Dr. Vlad Hasmatuchi, Dr. Jean Decaix, Maximilian Titzschkau und Prof. Dr. Cécile Münch-Alligné
Diese Studie wurde im Rahmen des FlexStor-Projekts (WP 5) durchgeführt und ermöglichte es uns, die kritischen Betriebsbedingungen zu identifizieren, die zur vorzeitigen Ermüdung des Turbinenlaufrads im Kraftwerk Grimsel 2 geführt hatten. Wir kamen zur Erkenntnis, dass sich diese Bedingungen durch einen drastischen Anstieg der Anzahl der täglichen Starts und Stopps in den letzten Jahren entwickelt hatten. Am Ende fassten wir unsere Ergebnisse in einem Protokoll zur experimentellen Diagnose von Wasserkraftwerken zusammen, die vorzeitige Ermüdungserscheinungen zeigen. Dieses Diagnosetool ist damit auch für andere Maschinen mit ähnlichen Problemen nützlich.
Die Wasserkraftforschungsgruppe der HES-SO Wallis war für das FlexSTOR-Projekt im SCCER-SoE (Arbeitspaket 5) verantwortlich. Die in diesem Projekt durchgeführten Aktivitäten zielten zusammen mit den Kraftwerken Oberhasli (KWO) und dem Labor für Hydraulikmaschinen der EPFL (EPFL-LMH) darauf ab, die Auswirkungen häufiger Start- und Standby-Vorgänge auf Hydraulikmaschinen mittels modernster numerischer und experimenteller Ansätze zu untersuchen.
Die Studie konzentrierte sich auf einen 100-Megawatt-Francis-Turbinenprototyp, der Teil einer der vier horizontalen ternären Gruppen des Pumpspeicherkraftwerks Grimsel 2 in der Schweiz ist. Aufgrund einer drastischen Zunahme der täglichen Starts und Stopps in den letzten Jahren hatten sich Risse in den Laufschaufeln der Francis-Turbinen entwickelt, ohne dass eine klare Erklärung für den Beginn der Rissausbreitung bekannt war.
Der Zweck dieser Studie war es, die für diese Risse verantwortlichen Betriebsbedingungen zu ermitteln, und zwar über einen vollständigen Start-Stopp-Zyklus, der den gesamten Betriebsbereich von tiefer Teillast bis Volllast umfasst. Zu diesem Zweck führten wir eine experimentelle In-situ-Untersuchung mit zwei synchronisierten Messreihen durch: Die erste bestand aus Messungen an Bord, während die andere aus externen, nicht-intrusiven Messungen bestand.
Für einen bestimmten oberen und unteren Reservoirpegel deckte unser Experiment während der Messkampagnen das vollständige Turbinenhügeldiagramm ab: Anlauf, Geschwindigkeit ohne Last, tiefe Teillast, bester Wirkungsgrad, Volllast und Abschaltbetriebsbedingungen. Die Instrumentierung an Bord, welche die grössere Herausforderung darstellte, bestand aus Dehnungsmessstreifen, die wir an den Radschaufeln anbrachten, sowie Beschleunigungs- und Drehzahlmessern, die wir in der Mitte des Laufrads (an derselben Stelle wie das Erfassungssystem) platziert hatten. Die externe nicht-intrusive Instrumentierung bestand hauptsächlich aus Beschleunigungsmessern, einem Mikrofon, Wellenvibrationswandlern und einem Drehzahlmesser sowie einem vor- und nachgeschalteten Drucksensor und einem Ultraschall-Durchflussmesser.
Um die Untersuchung dieses Phänomens abzuschließen und eine Lösung zu finden, haben wir eine ergänzende numerische Studie durchgeführt. Wir simulierten numerische die Strömung durch die Turbine für verschiedene Betriebsbedingungen mittels Computational-Fluid-Dynamics-Methoden (CFD) und führten eine Struktur- und Modalanalyse des Laufrads mit der Finite-Elemente-Methode (FEM) durch.
Basierend auf den Messungen an Bord konnten wir nachweisen, dass die höchsten mechanischen Belastungen der Laufschaufeln im Leerlaufbetrieb während der Synchronisation der Maschine mit dem Netzwerk und während des Herunterfahrens auftreten. Dann berechneten wir die Eigenmoden (die natürliche Eigenschwingung eines Objekts) des Turbinenlaufrads mittels FEM-Modalanalyse und schätzten ihre Verformung und die mittleren Spannungen aufgrund des Strömungsdrucks mithilfe der Einwegkopplung zwischen CFD und FEM ab.
Durch die Zusammenstellung aller experimentellen und numerischen Informationen ist es uns gelungen, das folgende Szenario für den Beginn der schädlichen Bedingungen bereitzustellen: Einer der Eigenmodi des Laufrads wird unter diesen Betriebsbedingungen teilweise angeregt. Dies führt zum Überschreiten der Ermüdungsgrenze und damit zur Entstehung von Rissen.
Wir haben erfolgreich demonstriert, dass wir die kritischen Betriebsbedingungen, die zu Rissausbreitung führen, erfolgreich identifizieren können, indem wir ausschliesslich nicht-intrusive Messmethoden im stationären Rahmen benutzt haben. Schlussendlich haben wir die Erkenntnisse in einem Protokoll zur experimentellen Diagnostik von Wasserkraftwerksteilen zusammengefasst, die Ermüdungserscheinungen zeigen. Dieses Werkzeug ist auch für andere Maschinen mit ähnlichen Problemen nützlich.
Dr. Vlad Hasmatuchi erhielt 2007 seinen Abschluss von der Fakultät für Maschinenbau, Abteilung Hydraulikmaschinen der Polytechnischen Universität in Timisoara, Rumänien. Im selben Jahr startete er am Labor für hydraulische Maschinen der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) in der Schweiz sein Doktorat im Bereich der hydraulischen Turbomaschinen. 2012 promovierte er an der EPFL in den Ingenieurwissenschaften. Seit 2012 ist er Senior Academic Associate im Wasserkraft-Forschungsteam der HES-SO Wallis, School of Engineering, in Sion, Schweiz. Er ist hauptsächlich verantwortlich für experimentelle Untersuchungen sowie für numerische Simulationen. Seine Forschungsinteressen liegen in der Hydrodynamik von Turbinen, Pumpen und Pumpenturbinen, sowie der Auslegung und Bewertung der hydraulischen Leistung.
Dr. Jean Decaix schloss 2009 sein Studium in Fachgebiet Energie und Produktion an der Grenoble INP Universität in Frankreich ab. 2012 promovierte er in Strömungsmechanik, Prozess und Energie an der Universität von Grenoble, Frankreich, im Labor für geophysikalische und industrielle Strömungen in numerischer Simulation von Kavitationsströmungen. 2012 trat er dem hydraulischen Forschungsteam der HES-SO Wallis, School of Engineering, in Sion, Schweiz, bei. Seit 2016 ist er Senior Academic Associate im selben Wasserkraft-Forschungsteam am HES-SO Wallis. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der numerischen Simulation von Wasserturbinen.
Maximilian Titzschkau hat Maschienenbau mit einem Fokus auf Fluidmachinen und Materialwissenschaften an der Universität Karlsruhe (KIT) studiert. Er schloss 2009 mit einer Diplomarbeit über die Optimierung von halboffenen Laufrädern mit einer CFD- und Stereo-PIV-Untersuchung ab. Seitdem arbeitet er für die KWO als Forschungsingenieur auf dem Gebiet der Sanierung und Optimierung von Turbinen. Er konzentriert sich auf die Optimierung des Anlagenbetriebs mit modernen Messmethoden.
Prof. Dr. Cécile Münch-Alligné erhielt 2002 einen Abschluss als Ingenieurin von der Grenoble INP University, Frankreich, Abteilung für Numerik und Modellierung von Flüssigkeiten und Festkörpern. Anschließend erhielt sie ein Stipendium am CNRS und am CNES, um eine Doktorarbeit über große Wirbelsimulationen von beginnenden kompressiblen turbulenten Strömungen. Sie verteidigte ihre Promotion 2005 an der INPG. Von 2006 bis 2010 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Labor für hydraulische Maschinen der EPFL an numerischen Strömungssimulationen in hydraulischen Turbinen. Seit 2010 ist sie Professorin an der HES-SO Wallis in Sion, Schweiz, wo sie das Forschungsteam für Wasserkraft leitet. Ihre Forschungsschwerpunkte sind hydraulische Turbomaschinen, numerische Simulationen, Leistungsmessungen, Turbulenzen und Fluid-Struktur-Wechselwirkungen.