November 2017 - von Philipp Meier und Katharina Lange
Der Bau von Kleinwasserkraftanlagen läuft weltweit auf Hochtouren. Dieser Boom fördert die Zerstückelung sowie Zerstörung von Lebensräumen in und an Fliessgewässern und setzt die Biodiversität weiter unter Druck. Dies erhöht das Risiko, dass wir lokal gut angepasste Tier- und Pflanzenarten verlieren. Dabei spielt die genetische Diversität eine besondere Rolle, denn diese ermöglicht den Arten, sich ändernden Umweltbedingungen oder auch Auswirkungen des Klimawandels anzupassen. Mit sorgsamer Planung können wir Standorte für den Neubau von Wasserkraftanlagen finden, welche eine möglichst hohe Stromproduktion bei gleichzeitig geringem Einfluss auf die Biodiversität bieten.
Durch den steigenden Strombedarf und die notwendige Verminderung der Treibhausgasemissionen sind wir gezwungen, die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen auszubauen. Dazu soll unter anderem noch ungenutztes Wasserkraftpotenzial erschlossen werden. In der Schweiz ist das Potenzial an den grossen Flüssen jedoch nahezu ausgeschöpft. In den Alpen gibt es kaum noch ein Tal, wo kein Wasser für die Stromerzeugung abgeleitet oder gespeichert wird. Daher werden nun vermehrt Kleinwasserkraftanlagen mit einer installierten Leistung von weniger als 10 Megawatt geplant. Um damit die Stromproduktion deutlich zu steigern, muss jedoch eine grosse Anzahl solcher Anlagen errichtet werden. Dies wird den Druck auf unsere letzten unberührten Gewässer weiter erhöhen.
Kurz gesagt: wir wissen es nicht. Wie üblich ist die ausführliche Antwort deutlich komplexer. Durch den Bau mehrerer Kleinwasserkraftanlagen in einem Flusseinzugsgebiet könnten sich die damit verbundenen negativen Auswirkungen akkumulieren, wie beispielsweise der Verlust einzigartiger Lebensräume und die Zerstückelung der Fliessgewässer durch Querbauwerke.
Das Entnehmen von Wasser für ein Kraftwerk reduziert den Abfluss und ändert die Fliessdynamik über mehrere Flusskilometer hinweg. Von den 65‘000 Schweizer Flusskilometern führen etwa 2‘700 Restwasser. Im alpinen Raum liegen Restwasserstrecken oft in steilen Gewässerabschnitten. Die Organismen, welche diese Gewässer bewohnen, sind gut an die starke Strömung und häufigen Hochwasserereignisse angepasst. Durch den Eingriff in die Abflussverhältnisse werden wir diese lokal angepassten Populationen verlieren.
Unter den Fischen in den Schweizer Alpenflüssen sind am häufigsten Forellen anzutreffen. In unserer Studie über die ökologischen Auswirkung von acht kleinen Laufwasserkraftanlagen (mehr erfahren) haben wir festgestellt, dass Forellen in Restwasserstrecken magerer sind. Auch im Flussbett lebende Insektenlarven, die eine zentrale Rolle spielen in der Erbringung von Ökosystemleistungen, können durch die Wasserentnahme stark beeinträchtigt werden. Bisher wissen wir ausserdem nicht, wie weit sich die Auswirkungen von Restwasserstrecken flussabwärts bemerkbar machen.
Die Dichte und der Standort von Wasserkraftanlagen bestimmen die Länge der isolierten Gewässerabschnitte und damit die Grösse der dort lebenden Fischpopulationen. Die geringere genetische Vielfalt von isolierten Populationen verringert deren Vermögen, sich an ändernde Umweltbedingungen anzupassen. Eine Zerstückelung des Gewässers kann daher zu lokalem oder einzugsgebietweitem Aussterben führen. Viele Fischarten benötigen für das Laichen, die Aufzucht und Nahrungssuche Zugang zu verschiedenen Lebensräumen. So laicht die einheimische Forelle häufig im Flussoberlauf und wandert für die Nahrungssuche abwärts in den Hauptfluss oder in einen See. Solche artspezifischen Anforderungen an den Lebensraum müssen für die Erhaltung grosser und gesunder Fischpopulationen berücksichtigt werden.
Akkumulierende Auswirkungen und solche, die das gesamte Einzugsgebiet betreffen, werden heutzutage bei der Wahl geeigneter Standorte für neue Wasserkraftanlagen kaum berücksichtigt. Dieser Umstand ist auch auf den Mangel an Planungswerkzeugen zurückzuführen, welche die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Mass an Zerstückelung, der Populationsdynamik und den Lebenszyklen abbilden können. Zudem ist es wichtig, die Lage jeder Wasserkraftanlage vor dem Hintergrund sowohl seiner Wirtschaftlichkeit als auch negativen Auswirkungen auf die Biodiversität mit alternativen Standorten zu vergleichen.
Es gibt einige Vorschläge, wie die ökologischen Auswirkungen von Wasserkraftanlagen hinsichtlich ihrer Positionierung im Gewässernetz bewertet werden können. Diese Methoden stützen sich meist auf Optimierungsverfahren. Der Wert von Ökosystemleistungen, wie zum Beispiel Artenvielfalt oder Angeln, kann üblicherweise nicht in Geld ausgedrückt werden. Daher muss zwischen höchstmöglicher Stromproduktion und geringster Umweltauswirkung sorgsam abgewogen werden.
Derzeit entwickeln wir an der Eawag ein räumlich explizites Planungswerkzeug, mit welchem wir die Überlebenswahrscheinlichkeit einer Art abschätzen können unter Vorgabe einer spezifischen Konfiguration von Wasserkraftanlagen innerhalb eines Flussnetzwerks. Dieses Werkzeug beruht auf einer Optimierungsmethode, mit der Pareto-optimale Lösungen berechnet werden können (siehe Abbildung). Für diese gilt, dass eine Zielgrösse, beispielsweise die Stromproduktion aus Wasserkraft, nur zu Ungunsten einer anderen Zielgrösse, wie zum Beispiel der Biodiversität, vergrössert werden kann. Solch ein Set expliziter Lösungen kann Anspruchsgruppen und Entscheidungsträgern dabei helfen, einen guten Kompromiss zwischen verschiedenen Interessen zu erarbeiten.
Philipp Meier arbeitete bis kürzlich an der Eawag und unterstützt die Entwicklung eines räumlich expliziten Planungswerkzeugs, welches für ein Schweizer Gewässergebiet implementiert wird. Katharina Lange untersucht an der Eawag die ökologischen und evolutionären Auswirkungen von kleinen Laufwasserkraftanlagen auf Schweizer Flüsse.