Können die Erneuerbaren die Stromlücke füllen?

Können die Erneuerbaren die Stromlücke füllen?

April 2018 - von Christian Bauer

Früher oder später muss die Schweiz ohne Strom aus Kernkraftwerken auskommen. So viel ist nach der Annahme der Energiestrategie 2050 klar. Aber wie kann diese Lücke gefüllt werden? Gibt es in der Schweiz genug Platz und Akzeptanz für Fotovoltaikanlagen und Windturbinen, oder müssen wir Strom aus dem Ausland beziehen? Wie viel werden die Alternativen kosten und welche Auswirkungen haben sie auf die Umwelt? Diese und weitere Fragen versuchte das Paul Scherrer Institut (PSI) kürzlich im Auftrag des Bundesamtes für Energie (BFE) zu beantworten.

Viel Potenzial vorhanden – aber nicht grenzenlos

Das Fazit unserer Arbeit ist recht klar: Eine ähnlich klimafreundliche Stromversorgung der Schweiz wie heute wird nur mit einem raschen und massiven Ausbau der Fotovoltaik gelingen. Denn dort liegt das weitaus grösste Potenzial zur Stromproduktion mit erneuerbarer Energie in der Schweiz – gross genug, um die Kernkraftwerke annähernd zu ersetzen. Zumindest, was die jährliche Produktion betrifft. Allerdings müsste ein Teil der Elektrizität aus Fotovoltaikanlagen gespeichert und vom Mittag in den Abend beziehungsweise vom Sommer in den Winter transferiert werden. Dazu fehlen die geeigneten Mittel noch teilweise: Während Batterien heute schon für einen kurzfristigen Ausgleich sorgen können, ist die Frage der optimalen saisonalen Speicherung noch unbeantwortet. Neben der Fotovoltaik müssten auch Wind, Biomasse, Geothermie und Wasserkraft ihre zusätzlichen Potenziale nutzen, was allerdings bereits heute in der Gesellschaft auf Vorbehalte stösst. Generell steht hinter dem Geothermie-Potenzial das grösste Fragezeichen. Die Tiefengeothermie befindet sich heute im Forschungsstadium und es ist noch nicht klar, ob, wann und wieviel Strom diese Technologie zukünftig in der Schweiz produzieren wird. Wenn man sich die begrenzten Möglichkeiten zur erneuerbaren Stromproduktion hierzulande insgesamt vor Augen führt, dann ist klar, dass der Stromverbrauch in Zukunft nicht weiter steigen sollte. Das ist angesichts von Elektromobilität, mehr Wärmepumpen und steigender Bevölkerung ambitiös. Ansonsten würde die Schweiz wohl nicht ohne Gaskraftwerke oder mehr Stromimporte auskommen.

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«Ausschöpfbare Potenziale» für die Stromversorgung der Schweiz im Jahr 2050 (zusätzlich zur Produktion 2015/16). Das ausschöpfbare Potenzial entspricht dem technischen Potenzial unter Berücksichtigung wirtschaftlicher und ökologischer Einschränkungen; gesellschaftliche Faktoren sind zum Teil berücksichtigt.

Grüner Strom ist seinen Preis wert

Immerhin ist absehbar, dass der Strom aus Fotovoltaikanlagen und Windkraftwerken in Zukunft weiterhin günstiger wird. Von Biomasse, Wasserkraft und den anderen Alternativen lässt sich das jedoch nicht behaupten: Schweizer Biomassepreise werden steigen, wenn mehr davon genutzt wird; Erdgaspreise den internationalen Trends zufolge ebenfalls; bei Gaskraftwerken würde eine allfällige Abscheidung und geologischen Speicherung der CO2-Emissionen zusätzliche Kosten mit sich bringen, und die tiefe Geothermie gehört auch nicht zu den günstigsten Technologien. Insgesamt lassen unsere Ergebnisse darauf schliessen, dass Stromrechnungen in Zukunft höher ausfallen werden als heute. Was mir aber durchaus gerechtfertigt erscheint: Gerade ein wohlhabendes Land wie die Schweiz sollte sich eine nachhaltige und sichere Stromversorgung etwas kosten lassen.

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Stromproduktionskosten im Jahr 2050.

Dies gilt umso mehr, wenn man sich die so genannten «externen Kosten» in Erinnerung ruft, welche negative Folgen für die Umwelt repräsentieren. Für diese externen Kosten müssen nicht die Verursacher, sondern die Allgemeinheit aufkommen. Darunter fallen beispielsweise die Folgen des Klimawandels, den wir heute mit unseren CO2-Emissionen verursachen und zukünftigen Generationen aufbürden. Diese CO2-Emissionen sind – auch wenn man die Emissionen berücksichtigt, welche bei der Herstellung der Kraftwerke anfallen – bei den meisten Erneuerbaren deutlich geringer als bei Gaskraftwerken. Abhilfe könnte hier die Abscheidung und permanente geologische Speicherung von CO2 im Untergrund bringen. Wobei heute allerdings nicht absehbar ist, ob bei den gegebenen Rahmenbedingungen hierzulande eine CO2-Speicherung je machbar sein wird. Diese Frage versucht das kürzlich gestartete EU-Forschungsprojekt «ELEGANCY» zu beantworten, bei dem aus der Schweiz unter anderem die ETH Zürich und das PSI beteiligt sind.

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Treibhausgasemissionen aus der Stromproduktion (Ökobilanzperspektive) im Jahr 2050.

Aktivitäten bündeln

Was es nun im Anschluss an unsere Arbeit braucht, ist eine Systemperspektive: Wie können die einzelnen Technologien in Zukunft am besten zusammenspielen? Welche Arten von Energiespeichern sind nötig und wie kann der Schritt in Richtung Elektromobilität am besten vollzogen werden? Fragen dieser Art widmet sich seit kurzem die «Joint Activity Scenarios & Modeling», die das Know-how aus verschiedenen SCCER bündelt. Erste Ergebnisse sind noch für Ende dieses Jahres zu erwarten. 

Autor

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Christian Bauer ist in der «Technology Assessment Gruppe» am PSI tätig. Im Fokus seiner Forschung stehen Ökobilanzen und Nachhaltigkeitsbewertungen der aktuellen und zukünftigen Energieversorgung und Mobilität.

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Die Studie «Potenziale, Kosten und Umweltauswirkungen von Stromproduktionsanlagen» entstand am PSI unter Federführung der «Technology Assessment Gruppe». Zudem sind Co-Autoren vom PSI, WSL und von den ETHs Zürich sowie Lausanne für einzelne Kapitel verantwortlich. Die Arbeit entstand im Auftrag des BFE und wurde mitfinanziert von den beiden SCCER «Supply of Electricity» und «Biosweet».

Die Resultate bilden die technologische Basis für die Aktualisierung der Energieperspektiven des Bundes, sind Teil des Technologie-Monitoring des BFE und fliessen schon heute in eine Reihe von Szenariorechnungen zur zukünftigen Schweizer Energieversorgung ein.

Im Vergleich zu früheren Studien hervorzuheben sind das umfassende Technologiespektrum, die Konsistenz in den Berechnungen von Kosten und Umweltauswirkungen sowie die umfangreiche Qualitätskontrolle von Seiten des BFE und der Wissenschaft.