100% erneuerbar - 100% machbar

100% erneuerbar - 100% machbar

August 2020 - von Dr. Annelen Kahl, Jérôme Dujardin und Prof. Dr. Michael Lehning

Das Wissen, dass Windkraft im Winter sehr produktiv ist und dass Photovoltaik (PV)-Anlagen in alpiner Umgebung mehr Strom produzieren können als in den Tälern, ist nicht völlig neu. Dennoch sind diese Einsichten bisher wenig gewürdigt oder umgesetzt worden. Doch mit der Energiewende ist dieses Wissen von entscheidender Bedeutung. Da die Schweiz mit einem erheblichen Energiedefizit im Winter konfrontiert sein wird, wenn ihre Kernkraftwerke abgeschaltet werden, liefern die Ergebnisse dieser SCCER-SoE-Modellierung wichtige Informationen darüber, wie eine kluge Wahl des Installationsortes dazu beitragen kann, dieses Defizit mit Sonnen- und Windenergie aus den Bergen zu füllen.

Bei der Energiewende 2050 geht es nicht nur darum, den jährlichen Beitrag der Kernenergie zu ersetzen; die eigentliche Herausforderung besteht darin, zum richtigen Zeitpunkt genügend Strom zu produzieren. Insbesondere im Winter sieht die Versorgungssicherheit der Schweiz düster aus, da die hohe Nachfrage nicht durch die relativ schwache inländische Produktion gedeckt werden kann, und unsere Nachbarländer könnten sich mit zunehmend erneuerbarer Stromproduktion in einer ähnlichen Situation befinden. Sich auf Importe zu verlassen, ist also nicht nur teuer, sondern auch unrealistisch.

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Zusammenspiel der erneuerbaren Stromerzeugung am Griessee, VS (Foto: Jérôme Dujardin).

Erstellung optimaler Wind- und Sonnenenergie-Installationsszenarien für die Schweiz

Dementsprechend ist es wichtig, die zukünftige Stromproduktion so nah wie möglich an der Nachfrage auszurichten. Gleichzeitig muss die Kompatibilität mit dem bestehenden Stromnetz berücksichtigt werden, sonst müssen neue Leitungen installiert und alte ausgebaut werden. Bei der Planung neuer Solar- und Windkraftanlagen geht es deshalb nicht unbedingt um die Maximierung der individuellen Jahresproduktion, sondern um ein Produktionsprofil, das sich der zeitlichen und räumlichen Struktur des schweizerischen Stromverbrauchs und der Produktion aus Wasserkraft optimal anpasst. Wir sind eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der EPFL, die im Rahmen des SCCER-SoE das Projekt Laboratory of Cryospheric Sciences CRYOS gestartet hat, um diese komplexe Aufgabe der parallelen Optimierung von Wind- und (Berg-)PV-Standorten unter gleichzeitiger Berücksichtigung aller Randbedingungen des bestehenden Systems zu übernehmen.

Mit unserem Beitrag zeigen wir, wie die schweizerische Stromproduktion in einem komplexen Zusammenspiel von Solar-, Wind- und Wasserkraft durch Anpassung am besten an die Anforderungen angepasst werden kann: 1) die Standortwahl, 2) das Mischungsverhältnis von Wind- und Solarproduktion und 3) die Installationsgeometrie der PV-Module. Gesteuert durch einen genetischen Algorithmus bestimmen wir optimale Installationsszenarien, die gleichzeitig mit dem Übertragungsnetz 2025 kompatibel sind.

Wir berechnen die potenzielle Stromproduktion der drei Energiequellen Wasser, Wind und Sonne mit hauseigenen Modellen, die auf detaillierten Datensätzen für Strahlung, Oberflächenreflexion, Windgeschwindigkeit und Wasserabfluss basieren. Wir bilden sowohl die vielfältige Topographie der Alpen als auch die komplexe Infrastruktur des Schweizer Wasserkraftwerks ab, da nur so die räumliche und zeitliche Variabilität der Produktion erfasst werden kann. Für jedes Anlagenszenario erhalten wir eine andere räumliche Verteilung der Produktion mit einem anderen Produktionsprofil. Mit Hilfe eines optimalen Leistungsflussmodells bestimmen wir dann die Folgen der Abstimmung von Produktion und Nachfrage: Wie viel Strom muss importiert oder exportiert werden und wie stark ist das Schweizer Stromnetz dadurch belastet. Die verfügbare Wasserkraft wird so genutzt, dass vorübergehende Produktionsdefizite, Überproduktion und mögliche Netzengpässe so weit wie möglich gemildert werden. Für realistische Standorte von PV- und Windanlagen werden Einschränkungen in Betracht gezogen. Am Ende jeder Analyse wird die Leistung des untersuchten Installationsszenarios anhand verschiedener Metriken beschrieben. Diesen Prozess wiederholen wir mit modifizierten Installationsszenarien im Rahmen eines Optimierungsverfahrens, bis wir die maximale Leistung erreichen.

Wir verwenden den erforderlichen Import als eine objektive Funktion, die den Auswahlprozess leitet und bestimmt, welche Lösungen am wertvollsten sind. Die Optimierung begünstigt somit Installationsszenarien, die den Importbedarf minimieren und eine maximale Autonomie des Landes ermöglichen.

Beste Ergebnisse mit 70% Wind und 30% PV

Die Ergebnisse zeigen, dass durch die Optimierung eine 50%ige Reduktion des Imports bei gleichzeitiger Produktivitätssteigerung erreicht wird (im Vergleich zu landesweit gleichmäßig verteilten Installationen von PV- und Windkraftanlagen). Dies ist von zentraler Bedeutung, da es zeigt, dass sich hohe Produktivität und optimales Timing nicht gegenseitig ausschließen. Es ist möglich, PV- und Windkraftanlagen an Standorten zu platzieren, die hochrentabel sind, und gleichzeitig Strom zu produzieren, wenn er am dringendsten benötigt wird. Es ist sogar möglich, dies zu tun, ohne das Stromnetz zu überlasten. Trotz der ziemlich restriktiven Einschränkungen, die wir für die möglichen Installationsstandorte für PV- und Windkraftanlagen anwenden, ist der Optimierungsalgorithmus in der Lage, geeignete Standorte zu finden, ohne große Kompromisse bei ihrer Produktivität einzugehen. Die besten Ergebnisse werden mit einem Mix aus 70% Wind und 30% PV erzielt, und die optimalen Standorte sind der Jura für Windturbinen und die Alpen für PV-Anlagen.

Autoren

Autoren

Auf der Grundlage ihres umfassenden Studiums der Physik und Naturwissenschaften an der Universität Göttingen, dem California Institute of Technology und der University of California arbeitet Dr. Annelen Kahl an einem besseren Verständnis der ökologischen und systemischen Randbedingungen, die den Übergang zu einer sauberen und erneuerbaren Stromerzeugung ermöglichen und herausfordern. Ihr gegenwärtiger Schwerpunkt liegt auf dem Potenzial von photovoltaischen (PV) Solaranlagen in alpinen Gebieten. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der EPFL und am WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) trägt sie zur wissenschaftlichen Fundierung der Energiestrategie 2050 der Schweiz bei. Als Unternehmerin des EPFL-Spin-offs SUNWELL will sie deren Umsetzung aktiv mitgestalten.

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Nach einem Master-Abschluss in Physik an der Ecole Supérieure de Physique de Strasbourg beschäftigte sich Jérôme Dujardin fast ein Jahrzehnt lang mit der F&E im Industriesektor. Schliesslich entschied er sich, seine Modellierungsfähigkeiten einzusetzen, um Probleme zu lösen, mit denen unsere Gesellschaft konfrontiert ist, und trat 2016 als Forschungsmitarbeiter an der EPFL in die SCCER-SoE ein. Seit 2017 arbeitet er an seiner Doktorarbeit im CRYOS-Labor und konzentriert sich auf die Modellierung und Optimierung des schweizerischen Elektrizitätssystems und auf die Erzeugung von hochauflösenden Windfeldern für Windenergieanwendungen.

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Prof. Dr. Michael Lehning ist der gemeinsame WSL/EPFL-Professor für Kryosphärenwissenschaften und Schneeprozesse und leitet die CRYOS- und die "Snow Processes"-Gruppen in Lausanne und am SLF Davos. Zu seinen Hauptforschungsgebieten gehören: Wechselwirkung Schnee-Atmosphäre; Vorhersage von Naturgefahren; Turbulenzen und Grenzschichtströmungen und Gebirgshydrologie. Auf der Grundlage seiner Modellierungs- und Messkenntnisse, einschliesslich der Fernerkundung von Schnee, hat er bedeutende Beiträge zum Verständnis der Schneedecke und der Niederschlagsdynamik in den Bergen geleistet.